Die Henkerstochter
und unsere Kinder! In letzter Zeit waren doch immer wieder Kinder bei ihr! Auch der Peter. Und jetzt findet man ihn tot im Fluss!«
Jakob Kuisl sehnte sich nach seiner Pfeife. Gerne hätte er jetzt mit dem Rauch die bösen Gedanken im Raum vertrieben. Er kannte die Vorbehalte der Ratsherren gegen Hebammen nur zu gut. Martha Stechlin war die erste Hebamme, die die Stadt offiziell angestellt hatte. Von jeher waren diese Frauen den Männern mit ihren weiblichen Geheimnissen suspekt. Sie kannten Tränke und Kräuter, sie berührten die Frauen an unsittlichen Stellen, und sie wussten auch, wie man die Frucht im Leib, dieses Geschenk Gottes, wieder wegmachen konnte. Schon viele Hebammen waren von Männern als Hexen verbrannt worden.
Auch Jakob Kuisl kannte sich mit Tränken aus und stand im Verdacht, ein Hexer zu sein. Aber er war ein Mann. Und er war der Henker.
»Ich möchte, dass du zur Stechlin gehst und sie dazu bringst zu gestehen«, sagte Johann Lechner. Er hatte sich wieder seinen Notizen zugewandt und schrieb, sein Blick war auf die Akten gerichtet. Die Sache war erledigt.
»Und wenn sie nicht gesteht?«, fragte Kuisl.
»Dann zeig ihr die Werkzeuge. Beim Anblick der Daumenschrauben wird sie schon weich werden.«
»Dafür braucht Ihr den Beschluss des Rats«, flüsterte der Henker. »Ich kann das nicht allein, und Ihr auch nicht.«
Lechner lächelte. »Wie du weißt, ist heute Ratsversammlung. Ich bin mir sicher, der Bürgermeister und die anderen hohen Herren werden meinem Vorschlag zustimmen. «
Jakob Kuisl dachte nach. Wenn der Rat dem Beginn der Tortur tatsächlich heute noch zustimmen würde, dann würde der Prozess wie ein gut geöltes Uhrwerk laufen. Und am Ende standen die Folter und wahrscheinlich der Tod durch Feuer. Für beides war der Scharfrichter zuständig.
»Sag ihr, dass wir morgen mit den Befragungen anfangen werden«, sagte Lechner und schrieb weiter in einer der Akten auf dem Tisch. »Dann hat sie noch Zeit, um sich’s zu überlegen. Wenn sie allerdings stur bleiben sollte, nun ... dann brauchen wir wohl deine Hilfe.«
Die Feder kratzte weiter über das Papier. Vom Marktplatz schlug die Kirchturmuhr acht. Johann Lechner sah hoch.
»Das war’s. Du kannst gehen.«
Der Henker stand auf und ging zur Tür. Als er die Klinke drückte, erklang hinter ihm noch einmal die Stimme des Schreibers.
»Ach, Kuisl.« Er drehte sich um. Der Schreiber sprach, ohne aufzuschauen. »Ich weiß, dass du sie gut kennst. Bring sie zum Reden. Das erspart ihr und dir unnötiges Leiden.«
Jakob Kuisl schüttelte den Kopf. »Sie war’s nicht. Glaubt mir. «
Jetzt blickte Johann Lechner noch einmal auf. Er sah ihm fest in die Augen.
»Ich glaube auch nicht, dass sie’s war. Aber es ist für die Stadt das Beste. Das kannst du mir glauben.«
Der Henker gab keine Antwort. Er duckte sich unterdem niedrigen Türrahmen durch und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Als die Schritte des Mannes draußen auf der Straße verklungen waren, wandte sich der Schreiber wieder den Akten zu. Er versuchte sich auf die Pergamente vor ihm zu konzentrieren, aber es fiel ihm schwer. Vor ihm lag eine offizielle Beschwerde der Stadt Augsburg. Der Schongauer Floßmeister Thomas Pfanzelt hatte einen großen Wollballen der Augsburger Kaufleute gemeinsam mit einem schweren Schleifstein transportiert. Die Ladung war wegen des hohen Gewichts in den Lech gestürzt. Jetzt forderten die Augsburger Wiedergutmachung. Lechner seufzte. Der ewige Streit zwischen den Augsburgern und Schongauern nagte an seinen Nerven. Gerade heute konnte er sich mit derlei Kinkerlitzchen wirklich nicht befassen. Seine Stadt brannte! Johann Lechner konnte direkt sehen, wie sich die Angst und der Hass von den Rändern her ins Zentrum Schongaus fraßen. Schon gestern Abend war in den Gasthäusern, im »Stern« und im »Sonnenbräu«, getuschelt worden. Die Rede ging von Satansanbetungen, Hexenorgien und Ritualmorden. Nach all den Seuchen, Kriegen und Unwettern war die Stimmung explosiv. Die Stadt saß auf einem Pulverfass, und Martha Stechlin konnte die brennende Lunte sein. Nervös rollte Lechner den Federkiel zwischen den Fingern hin und her. Man muss die Lunte kappen, bevor ein Unheil geschieht …
Der Schreiber schätzte Jakob Kuisl als einen klugen, besonnenen Mann. Aber es ging nicht darum, ob die Stechlin schuldig war; das Wohl der Stadt ging vor. Ein kurzer Prozess, und der Frieden, der so lang ersehnte Frieden, würde endlich wieder
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