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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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blieb vor der Tür stehen. Nachdenklich saugte er am Pfeifenstiel.
    »Merkwürdig«, murmelte er. »War vorletzte Nacht nicht Vollmond?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er ins Freie. Hinter ihm fiel die Tür mit einem Krachen ins Schloss. Martha Stechlin wickelte sich in den Mantel, legte sich auf das Stroh und weinte lautlos.
     
    Der Henker begab sich auf dem schnellsten Weg zum Haus der Stechlin. Seine Schritte hallten durch die Gassen.Erstaunt blickte eine Gruppe Bäuerinnen, bepackt mit Körben und Säcken, der großen Gestalt nach, die so schnell an ihnen vorübereilte. Alle schlugen sie ein Kreuz, dann tratschten sie weiter über den schrecklichen Tod des kleinen Grimmer und seinen Vater, den Witwer und Säufer.
    Beim Gehen dachte Jakob Kuisl noch einmal über das nach, was ihm die Hebamme zuletzt gesagt hatte. Die Alraune war die Wurzel der Mandragora, eine Pflanze mit gelbgrünen Früchten, deren Genuss betäubend wirkte. Die Wurzel selbst sah aus wie ein kleiner, verdorrter Mann, deshalb wurde sie oft bei Beschwörungen verwendet. Zermahlen war sie Bestandteil der berüchtigten Flugsalbe, mit der Hexen ihre Besen einstrichen. Es hieß, dass sie besonders gut unter Galgen gedieh und sich vom Urin und dem Sperma der Gehängten ernährte, aber Jakob Kuisl hatte auf dem Schongauer Galgenbichl noch nie eine wachsen sehen. Sicher war, dass sie als Betäubungs- und auch Abtreibungsmittel exzellent wirkte. Falls man bei der Stechlin eine Alraune fand, wäre das ihr sicheres Todesurteil.
    Wer aber könnte der Hebamme die Pflanze gestohlen haben? Jemand, der ihr Schlechtes wollte?
    Jemand, der wollte, dass man sie der Zauberei verdächtigte?
    Vielleicht hatte die Hebamme die verbotene Wurzel aber einfach nur verlegt. Jakob Kuisl schritt schneller aus. Bald würde er sich selbst ein Bild machen können.
    Kurze Zeit später stand er vor dem Haus der Hebamme. Als er die zersplitterten Fensterläden und die eingetretene Tür sah, war er sich nicht mehr sicher, ob er hier allzu fündig werden würde.
    Der Henker drückte die Türe auf. Mit einem letztenQuietschen löste sie sich aus den Angeln und fiel nach innen. Im Raum selbst sah es aus, als hätte die Stechlin mit Schwarzpulver experimentiert und wäre dabei in die Luft geflogen. Der Lehmboden war mit zerbrochenen Tontiegeln übersät, auf denen alchimistische Zeichen von ihrem früheren Inhalt zeugten. Es roch schwer nach Pfefferminze und Wermut.
    Tisch, Stuhl und Bett waren geborsten und in Einzelteilen über die Stube verteilt. Der Kessel mit der kalten Hafergrütze war in die Ecke gerollt, sein Inhalt bildete einen kleinen See, von dem aus Fußspuren zur hinteren Gartentür führten. Auch in den Kräuterpasten und Pulvern auf dem Boden waren verwischte Fußspuren zu erkennen. Es sah aus, als hätte halb Schongau dem Haus der Stechlin einen Besuch abgestattet. Ihm fiel ein, dass mit Grimmer bestimmt ein Dutzend Männer das Haus der Hebamme gestürmt hatte.
    Als der Henker sich die Fußspuren genauer ansah, wurde er stutzig. Zwischen den großen Spuren waren auch kleinere. Verwischt zwar, aber trotzdem deutlich zu erkennen. Kinderspuren.
    Er sah sich im Raum um. Der Kessel. Der zerbrochene Tisch. Die Spuren. Die zerbrochenen Tiegel. Irgendwo in ihm läutete eine Glocke, aber er konnte nicht sagen, warum. Irgendetwas ... erinnerte ihn.
    Der Henker kaute an seiner kalten Pfeife. Dann ging er gedankenversunken wieder nach draußen.
     
    Simon Fronwieser saß unten in der Wohnstube neben dem Feuer und sah dem Kaffee beim Kochen zu. Mit der Nase sog er den fremdartigen und stimulierenden Duft ein und schloss dabei die Augen. Simon liebte den Geruch und den Geschmack dieses exotischen Pulvers, er war geradezusüchtig danach. Vor einem Jahr erst hatte ein Augsburger Händler einen Beutel der kleinen, harten Bohnen nach Schongau gebracht. Der Händler pries sie als Wundermittel aus dem Morgenland an. Die Türken würden sich damit in einen Blutrausch trinken, und auch im Bett sollte es sagenhafte Wirkung besitzen. Simon war sich nicht sicher, was an den Gerüchten wirklich dran war. Er wusste nur, dass er Kaffee liebte und dass er nach seinem Genuss noch stundenlang über den Büchern brüten konnte, ohne müde zu werden.
    Das braune Wasser blubberte im Kessel vor sich hin. Simon nahm sich einen Tonbecher, um das Getränk umzufüllen. Vielleicht würde ihm die Wirkung mehr über den Tod des Grimmerjungen verraten. Seitdem er gestern das Henkershaus verlassen hatte, war

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