Die Henkerstochter
mehr anlegen«, überlegte er.
»Dann wäre die Stechlin fein raus, und euer ganzer Plan ist beim Teufel«, warf Jakob Schreevogl ein. Er saß mit verschränkten Armen am Tisch.
Von den einfachen Gemeindemitgliedern hinten an der Wand räusperte sich jemand. Es kam selten vor, dass einer von ihnen das Wort in der Versammlung erhob. Deralte Pogner, der von der Krämerzunft in den Rat gesandt worden war, murmelte: »Es hat da tatsächlich eine Keilerei zwischen dem Grimmer und ein paar Augsburger Fuhrleuten gegeben. Ich war selber im ›Stern‹, als es passiert ist«, murmelte er.
Bürgermeister Karl Semer fühlte sich als Gastwirt in seiner Ehre gekränkt.
»In meinem Gasthaus gibt’s keine Keilereien. Die haben höchstens ein bissl gerauft«, beschwichtigte er.
»Ein bissl gerauft?« Pogner wachte jetzt auf. »Fragt mal Eure Resl, die war da. Die haben sich ordentlich die Nasen eingeschlagen. In Bächen ist das Blut übern Tisch geflossen. Und der eine Augsburger kann immer noch nicht richtig laufen, so wie ihn der Grimmer versohlt hat. Der hat ihm beim Rauslaufen auch einen bösen Fluch nachgeworfen. Ich glaube, die wollten sich rächen, das glaub ich!«
»Unsinn!« Der halbblinde Matthias Augustin schüttelte den Kopf. »Man kann den Augsburgern viel nachsagen, aber einen Mord ... Das trau ich denen nicht zu. Haltet euch an die Stechlin. Und macht vor allem schnell. Bevor hier alles zu brennen anfängt.«
»Ich habe Anweisungen gegeben, morgen mit den Befragungen zu beginnen«, sagte Lechner. »Der Scharfrichter wird der Hebamme die Folterwerkzeuge zeigen. In spätestens einer Woche ist die Sache erledigt.« Er blickte nach oben an die geschnitzte Decke aus Zirbelkiefer. Reliefförmige Schriftrollen zeugten davon, dass hier Gesetz geschrieben wurde.
»Müssen wir in so einem Fall nicht den kurfürstlichen Pfleger zu Rate ziehen?«, fragte Jakob Schreevogl. »Schließlich geht es um Mord! Die Stadt darf hier doch gar nicht alleine urteilen!«
Johann Lechner lächelte. Tatsächlich war für einen Richtspruch, der über Leben und Tod entschied, der Vertreter des Kurfürsten nötig. Doch Wolf Dietrich von Sandizell weilte wie so oft auf seinem Gut Pichl bei Thierhaupten, weit weg von Schongau. Und bis er hier erschien, war Lechner sein alleiniger Vertreter zwischen den Stadtmauern.
»Ich habe bereits einen Boten geschickt und Sandizell gebeten in spätestens einer Woche hier zu erscheinen, um den Prozess zu leiten«, erklärte er. »Ich habe ihm geschrieben, dass wir bis dahin einen Schuldigen gefunden haben. Falls nicht, muss der kurfürstliche Pfleger mit seinem Tross eben noch länger in der Stadt bleiben ... «, fügte der Schreiber süffisant hinzu.
Die Ratsherren stöhnten innerlich. Ein kurfürstlicher Pfleger samt Anhang! Mit Pferden, Dienern, Soldaten … Das bedeutete jede Menge Ausgaben. Insgeheim zählten sie schon die Gulden und Pfennige, die jeder Einzelne der hohen Gäste verfressen und versaufen würde. Tag für Tag, bis zur Fällung des Urteilsspruchs. Umso wichtiger war es, dass sie bei der Ankunft des Pflegers bereits einen Schuldigen präsentieren konnten. Dann käme man noch halbwegs billig davon.
»Ihr habt unser Einverständnis«, sagte Bürgermeister Semer und wischte sich den Schweiß von der Stirnglatze. »Fangt morgen mit den Befragungen an. «
»Gut. « Johann Lechner schlug die nächste Kladde auf. »Kommen wir jetzt zu den weiteren Punkten. Es gibt noch viel zu tun heute.«
4
Mittwoch,
den 25. April Anno Domini 1659,
9 Uhr morgens
J akob Kuisl ging die schmale Gasse direkt an der Stadtmauer Richtung Süden. Die Häuser hier waren frisch verputzt, die Ziegeldächer leuchteten rot in der Morgensonne. In den Gärten blühten die ersten Narzissen und Osterglocken. Das sogenannte Hoftorviertel rund um das herzogliche Pflegschloss galt als bessere Gegend. Hier hatten sich die Handwerker niedergelassen, die es zu etwas gebracht hatten. Der Weg des Henkers führte vorbei an schnatternden Enten und gackernden Hühnern, die auf der Gasse vor ihm davonstoben. Ein Schreiner saß mit Hobel, Hammer und Stemmeisen draußen auf der Bank vor der Werkstatt und schliff einen Tisch glatt. Als der Scharfrichter an ihm vorbeiging, zog er den Kopf ein. Man grüßte den Henker nicht, das brachte Unglück.
Endlich hatte Jakob Kuisl das Ende der Gasse erreicht. An ihrem äußersten Ende, direkt an der Stadtmauer, lag die Fronfeste, ein bulliger, dreistöckiger Turm mit Flachdach und Zinnen,
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