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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Schultern. Erst dann begann sie zu sprechen.
    »Nicht nur der Peter ist bei mir gewesen. Auch ein paar von den anderen. Denen fehlt halt die Mutter.«
    »Welche anderen?«
    »Na, die Waisen halt. Die Sophie, die Clara, der Anton, der Johannes ... Wie sie alle heißen. Die haben mich besucht, manchmal mehrmals die Woche. Sie haben bei mir im Garten gespielt, und ich hab ihnen Mehlsuppe gekocht. Die haben doch keinen mehr.«
    Jakob Kuisl erinnerte sich. Auch er hatte die Kinder gelegentlich im Garten der Hebamme gesehen. Aber nie warihm aufgefallen, dass es fast ausschließlich Waisenkinder waren.
    Der Henker kannte die Kinder von der Straße her. Oft standen sie zusammen, gemieden von den anderen. Schon ein paar Mal war er dazwischengegangen, wenn andere Kinder gemeinsam über die Waisen hergefallen waren und sie verprügelt hatten. Es schien fast, als ob auf ihrer Stirn ein Zeichen leuchtete, das die anderen dazu brachte, sie immer wieder als Opfer auszuersehen. Kurz dachte er an seine eigene Kindheit zurück. Er war ein dreckiger, unehrlicher Henkerssohn gewesen, aber wenigstens hatte er Eltern gehabt. Ein Glück, das mittlerweile immer weniger Kindern zuteilwurde. Der große Krieg hatte vielen Vater und Mutter genommen. Die Stadt gab solche armen Seelen zu einem Vormund. Oft waren das Bürger aus der Stadtverwaltung, aber auch Handwerksmeister, die so ganz nebenbei auch den Besitz der verstorbenen Eltern übernahmen. In den ohnehin großen Familien waren diese Kinder das letzte Glied in einer langen Kette. Geduldet, getreten, selten geliebt. Ein Esser mehr, den man durchfütterte, weil man das Geld brauchte. Jakob Kuisl konnte verstehen, dass diese Waisen in der liebevollen Martha Stechlin so etwas wie eine Mutter gesehen hatten.
    »Wann waren sie das letzte Mal bei dir?«, fragte er die Hebamme.
    »Vorgestern.«
    »Also am Tag vor der Mordnacht. War der Peter auch dabei?«
    »Ja, natürlich. Er war so ein aufmerksamer Junge ... « Der Hebamme rollten Tränen über das blutverkrustete Gesicht. »Er hat doch keine Mutter mehr gehabt. Ich selbst hab sie ja in den letzten Stunden begleitet. Der Peter und die Sophie, die wollten alles ganz genau wissen.Was ich so mach als Hebamme und welche Kräuter ich brauch. Beim Mörsern haben sie immer ganz genau zugeschaut. Die Sophie hat gesagt, dass sie auch einmal Hebamme werden möchte.«
    »Wie lange sind sie geblieben?«
    »Bis kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Ich hab sie dann heimgeschickt, als die Klingensteinerin nach mir hat rufen lassen. Bis gestern früh bin ich dort geblieben, bei Gott, dafür gibt es Zeugen!«
    Der Henker schüttelte den Kopf. »Das wird dir nichts nutzen. Ich habe gestern Abend noch mit dem Grimmer-Vater geredet. Peter ist vermutlich nie zu Hause angekommen. Grimmer war noch bis zur Sperrstunde im Wirtshaus. Als er am nächsten Morgen seinen Sohn wecken wollte, war das Bett leer.«
    Die Hebamme seufzte. »Ich hab ihn also als Letztes gesehen ...«
    »So ist es, Martha. Das sieht bös aus. Draußen wird allerhand getratscht.«
    Die Hebamme schlang den Mantel fester um sich. Ihre Lippen wurden schmal.
    »Wann wirst du mit den Zangen und den Daumenschrauben beginnen?«, fragte sie.
    »Schon bald, wenn’s nach dem Lechner geht.« »Soll ich gestehen?«
    Jakob Kuisl zögerte. Diese Frau hatte seine Kinder zur Welt gebracht. Er war ihr einen Gefallen schuldig. Außerdem konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie dem Peter derartige Wunden zugefügt hatte.
    »Nein«, sagte er schließlich. »Schieb’s auf. Leugne, so lange es geht. Ich werd dich sanft anfassen, ich versprech’s dir.«
    »Und wenn’s nicht mehr geht?«
    Kuisl zog an seiner kalten Pfeife. Dann deutete er mit dem Stiel auf Martha. »Ich krieg den Sauhund, der das getan hat. Das versprech ich dir. Halt durch, bis ich den Sauhund hab.«
    Dann wandte er sich abrupt ab und schritt auf den Ausgang zu.
    »Kuisl! «
    Der Henker hielt inne und blickte noch einmal zurück auf die Hebamme. Ihre Stimme war jetzt nur noch als Flüstern zu hören.
    »Es gibt da noch eins. Das solltest du vielleicht wissen...«
    »Was? «
    »Ich hatte eine Alraune bei mir im Schrank ...«
    »Eine Al... Du weißt, dass die hohen Herren so was für Teufelszeug halten.«
    »Ich weiß. Jedenfalls ist sie weg.«
    »Weg?«
    »Ja, weg. Seit gestern.«
    »Sind noch andere Sachen abhandengekommen? « »Ich weiß es nicht. Ich hab’s erst gemerkt, kurz bevor der Grimmer mit seinen Leuten kam.«
    Jakob Kuisl

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