Die Henkerstochter
gebaut aus massiven Steinquadern. Seit Jahrhunderten diente das Gebäude als Verlies und Folterkammer.
Der Stadtknecht lehnte neben dem eisenbeschlagenen Holztor und ließ sich die Frühlingssonne ins Gesicht scheinen. An seinem Gürtel baumelte neben dem fingerlangenTürschlüssel ein Knüppel. Mehr Bewaffnung war nicht nötig, schließlich war die Verdächtigte in Eisen geschlagen worden. Gegen mögliche Flüche hatte sich der Knecht mit einem kleinen, geweihten Holzkreuz und einem Marienamulett gewappnet, die beide an einer Lederschnur um seinen Hals hingen.
»Einen guten Morgen wünsch ich dir, Andreas!«, rief Jakob Kuisl. »Wie geht es den Kindern? Die kleine Anna wieder wohlauf?«
»Alles wohlauf. Habt Dank, Meister Jakob. Das Mittel hat gut geholfen.«
Der Knecht sah sich verstohlen nach allen Seiten um, ob jemand sein Gespräch mit dem Henker beobachtete. Man mied den Mann mit dem Schwert, aber man kam eben auch zu ihm, wenn einen die Gicht stach oder der Finger gebrochen war. Oder wenn die Tochter, wie im Falle von Stadtknecht Andreas, an schwerem Keuchhusten litt. Gerade die einfachen Leute suchten lieber den Scharfrichter auf als den Bader oder Medicus. Meistens kam man gesünder wieder raus, als man hineingegangen war. Außerdem war er billiger.
»Was meinst? Kannst mich mit der Stechlin mal allein reden lassen?« Kuisl stopfte sich seine Pfeife. Ganz nebenbei bot er dem Knecht von seinem Tabak an. Verstohlen stopfte Andreas das Geschenk in den Sack am Gürtel.
»Ich weiß nicht. Der Lechner hat’s verboten. Ich soll immer dabei sein.«
»Sag mal, hat die Stechlin nicht auch deine Anna zur Welt gebracht? Und deinen Thomas?«
»Ja, schon ...«
»Siehst, meine Kinder hat sie auch zur Welt gebracht. Glaubst wirklich, dass sie eine Hex ist?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber die anderen ...«
»Die anderen, die anderen ... Denk selber, Andreas! Und jetzt lass mich rein. Kannst morgen vorbeikommen, der Hustensaft für deine Kleine ist fertig. Nimm ihn dir einfach, wenn ich nicht da sein sollte. Er steht auf dem Tisch in der Küche.«
Bei diesen Worten streckte er die Hand aus. Der Stadtknecht übergab ihm den Schlüssel, und der Henker betrat die Fronfeste.
Zwei Zellen nahmen den hinteren Teil des Raumes ein. In der linken lag Martha Stechlin leblos auf einem Bündel schmutzigem Stroh. Es roch streng nach Urin und verfaultem Kohl. Durch ein kleines, vergittertes Fenster fiel Sonnenlicht in den Vorraum, eine Treppe führte nach unten in die Folterkammer. Jakob Kuisl kannte sie gut. Dort unten befanden sich all die Dinge, die der Henker für die peinliche Befragung benötigte.
Zuerst würde er der Stechlin die Instrumente nur zeigen. Die glühenden Zangen, die rostigen Daumenschrauben mit ihren Schraubmuttern, mit denen man Drehung für Drehung den Schmerz verstärken konnte. Er würde ihr erklären müssen, wie es war, von zentnerschweren Steinen langsam in die Länge gezogen zu werden, bis die Knochen knackten und schließlich aus den Gelenken sprangen. Oft reichte das Zeigen der Instrumente schon aus, um die Befragten gefügig zu machen. Bei Martha Stechlin war sich der Henker nicht so sicher.
Die Hebamme schien zu schlafen. Als Jakob Kuisl an die Gitterstäbe trat, blickte sie blinzelnd hoch. Es klimperte. Von ihren Händen liefen rostige Ketten hin zu Ringen in der Wand. Martha Stechlin versuchte ein Lächeln.
»Sie haben mich gebunden wie einen tollen Hund.« Sie zeigte ihm die Ketten. »Und der Fraß ist auch der gleiche.«
Kuisl schmunzelte. »Schlimmer als bei dir zu Hause kann’s auch nicht sein.«
Martha Stechlins Gesicht verdüsterte sich. »Wie sieht’s bei mir daheim aus? Sie haben alles kaputtgeschlagen, oder?«
»Ich werd noch bei dir vorbeischauen. Aber zurzeit hast du ein viel größeres Problem. Die denken, du warst es. Morgen schon komm ich mit dem Schreiber und dem Bürgermeister und zeig dir die Instrumente.«
»Morgen schon?«
Er nickte. Dann blickte er die Hebamme durchdringend an.
»Martha, sag mir ehrlich, bist du’s gewesen?«
»Bei der Heiligen Jungfrau Maria, nein! Niemals könnt’ ich dem Jungen was antun!«
»Aber er ist bei dir gewesen? Auch in der Nacht vor seinem Tod?«
Die Hebamme fror. Sie hatte nur das dünne Leinenhemd an, mit dem sie vor Grimmer und seinen Männern geflohen war. Sie zitterte am ganzen Leib. Jakob Kuisl reichte ihr seinen langen, löchrigen Mantel. Wortlos nahm sie ihn durch die Gitterstäbe an und legte ihn sich um die
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