Die Henkerstochter
auf.
»Hexenzeichen, Schwefel, eine Alraune ... Das alles passt zu gut, meinst du nicht? Als ob jemand möchte, dass wir an den ganzen Spuk glauben.«
»Oder der ganze Spuk ist doch wahr«, flüsterte Magdalena. Eine Wolke hatte sich über die Frühlingssonne geschoben. Sie zog ihr Wolltuch über die Schultern.
»Ich war heute früh bei der Daubenbergerin«, begann sie zögernd. »Sie hat mir von der heiligen Walburga erzählt.«
Sie berichtete Simon von ihrem Gespräch mit der Hebamme und dass diese vermutete, die Morde könnten irgendwie mit der Walpurgisnacht in einer Woche zusammenhängen. Als sie geendet hatte, schüttelte Simon den Kopf.
»Ich mag nicht an einen Spuk glauben«, sagte er. »An Hexerei und Hokuspokus. Es muss irgendeinen Grund geben, warum diese Kinder sterben mussten.«
Plötzlich fiel Simon der Mann mit der Knochenhand ein. Sophie und die Magd im »Stern« hatten beide vonihm berichtet. Hatte er sich wirklich nach dem Krämerssohn erkundigt? Oder war das nur eines von Sophies Hirngespinsten? Siedend heiß fiel ihm ein, dass ihm das Mädchen einen guten Batzen Geld gestohlen hatte. Diesem Kind war nicht einen Steinwurf weit zu trauen!
Seufzend setzte er sich wieder zu Magdalena auf den Baumstamm. Auch ihm war kalt geworden. Die Henkerstochter sah, dass er fröstelte, und breitete ihr Wolltuch über seine Schultern aus. Sie suchte seine Hand, ergriff sie und führte sie langsam zu ihrem Mieder.
Simon musste immer noch an den Knochenmann denken. Wenn es ihn wirklich gab, und er die Kinder auf dem Gewissen hatte, warum hatte er sie dann umgebracht? Was verband die beiden Toten, außer dass sie in jener Vollmondnacht bei der Stechlin gewesen waren?
Und vor allem …
Wer war noch bei der Stechlin gewesen?
Magdalena sah den jungen Medicus von der Seite an. Den ganzen Tag schon war er verschlossen gewesen. Sie musste einfach wissen, wie er zu ihr stand.
»Simon, ich ...«, begann sie.
In diesem Moment wehte der Wind das hohe Läuten der Sturmglocken zu ihnen herüber. Hier in den Auen, weit weg von der Stadt, klang es wie das Jammern eines Kindes. Es war etwas geschehen! Simon spürte, wie ihm die Brust eng wurde. Er sprang auf und lief los, auf Schongau zu. Erst nach einigen Metern merkte er, dass Magdalena nicht nachkam.
»Komm, schnell!«, rief er. »Und bete zum Herrgott, dass nicht schon wieder eine Leiche im Fluss treibt.«
Magdalena seufzte, dann stand sie auf und rannte Simon hinterher.
Der Henker eilte die Kellertreppe der Fronfeste empor, wobei er jeweils mehrere Stufen auf einmal nahm. Hinter sich hörte er die Schreie des Schreibers und der anderen, die ebenfalls dem Ausgang zustrebten. Helles Glockenklingen lag über der Stadt.
Die Sturmglocken auf den Wachtürmen wurden nur im äußersten Notfall geläutet, bei einem Angriff oder bei einem Brand. Eine Invasion feindlicher Soldaten schloss Kuisl aus. Seit über zehn Jahren herrschte nun Frieden. Zwar gab es immer noch marodierende Söldnerhaufen, die sich in den Wäldern versteckt hielten und einsame Gehöfte überfielen. Aber Schongau war zu groß, als dass es ein paar Lumpen wagen würden, die Stadt anzugreifen. Blieb also nur ein Feuer …
Nach wie vor waren die meisten Gebäude in Schongau aus Holz gebaut, viele Dächer bestanden aus Stroh. Wenn der Wind ungünstig wehte, konnte schon ein kleiner Schwelbrand die ganze Stadt vernichten. Die Angst der Menschen vor dem Feuer war groß, und auch der Henker hatte Angst um seine Familie.
Als Jakob Kuisl den Ausgang der Feste erreichte, sah er sofort, dass für die Stadt zunächst noch keine Gefahr bestand. Ein dünner Faden Rauch stieg empor, der sich oben am Himmel zu einer Wolke ausweitete. Der Rauch kam von jenseits der Stadtmauern. Der Henker vermutete, dass es unten an der Floßlände brannte.
Ohne auf die anderen zu warten, eilte er die Münzstraße hinunter bis zum Ballenhaus und bog dann links Richtung Lechtor ab. Auch andere Bewohner Schongaus strebten dem Tor entgegen, um nach dem Rechten zu sehen. In den oberen, flusszugewandten Stockwerken gingen die Fensterläden auf, die die Bürger jetzt am Abend bereits geschlossen hatten. Neugierig äugten sie hinunterzu dem Spektakel, das sich ihnen am Ufer des Flusses bot.
Jakob Kuisl hastete durch das Lechtor und sah, dass unten an der Floßlände der Zimmerstadel Feuer gefangen hatte. Das Dach des gewaltigen Lagerschuppens brannte lichterloh! Ein halbes Dutzend Flößer hatte eine Menschenkette gebildet und goss
Weitere Kostenlose Bücher