Die Henkerstochter
Schreiber.
»Ihr glaubt’s doch nicht, dass der was findet«, raunte er. »Der steckt doch mit der Stechlin unter einer Decke. Ich hab selbst gesehen, wie er von ihr Kräuter und was weiß ich noch zugesteckt bekommen hat. Und die Magd vom Keußlinbauern hat mir erzählt ...«
»Meister Berchtholdt, wir haben für Eure Ausführungen jetzt wirklich keine Zeit.« Johann Lechner wandte sich angewidert zur Seite, um dem fauligen Atem des Bäckers zu entgehen. Er hielt Berchtholdt für einen Säufer und Prahlhans, aber wenigstens in dieser Angelegenheit konnte er sich seiner sicher sein. Bei seinem zweiten Zeugen war er hingegen noch unschlüssig ... Er wandte sich deshalb noch einmal Berchtholdt zu.
»Aber wenn’s der Wahrheitsfindung dient, will ich EurenRatschlag beherzigen«, sagte er aufmunternd. »Meister Augustin, wärt Ihr so freundlich und helft dem Henker beim Suchen?«
Zufrieden lehnte sich der Bäcker in seinem Stuhl zurück und musterte weiter die Delinquentin. In der Zwischenzeit erhob sich mit einem Schulterzucken der Sohn des mächtigen Rottfuhrmanns und schlenderte gemächlich hinüber zur Hebamme. Sein Gesicht war fein geschnitten und bleich, als hätte es wenig die Sonne gesehen. Darin leuchteten eisblaue Augen. Fast desinteressiert streifte Georg Augustins Blick die Stechlin. Dann fuhr sein Zeigefinger leicht über ihren dürren Körper, zeichnete Kreise um ihre Brüste und verharrte schließlich über ihrem Bauchnabel.
»Umdrehen«, flüsterte er.
Zitternd drehte sich die Hebamme um. Der Finger glitt weiter über Nacken und Schultern. Am rechten Schulterblatt blieb er stehen und tippte auf ein Muttermal, das tatsächlich größer schien als die übrigen.
»Was haltet Ihr davon?«
Der Rottfuhrmann sah dem Henker, der die ganze Zeit neben ihm gestanden hatte, direkt in die Augen.
Jakob Kuisl zuckte mit den Schultern. »Ein Muttermal. Was soll ich davon halten?«
Augustin ließ nicht locker. Kuisl hatte das Gefühl, ein leichtes Schmunzeln auf seinen Lippen zu sehen. »Haben nicht die zwei toten Kinder auch so ein Zeichen auf ihrer Schulter gehabt?«
Schreiber und Bäcker sprangen auf, und selbst der junge Schreevogl näherte sich neugierig, um das Mal zu begutachten.
Jakob Kuisl blinzelte und sah genauer hin. Der braune Fleck war tatsächlich größer als die übrigen Muttermale.
Ein paar schwarze Haare wuchsen darauf. Nach unten lief er strichförmig aus.
Die Männer standen nun im Kreis um Martha Stechlin herum. Die Hebamme hatte sich zeitweilig in ihr Schicksal gefügt und ließ sich wie ein Schlachtkalb begutachten. Nur ab und zu stieß sie ein leises Wimmern aus.
»Tatsächlich«, flüsterte der Schreiber und beugte sich über den Flecken. »Es sieht dem Teufelszeichen ähnlich ...« Der Bäcker Berchtholdt nickte eifrig und schlug ein Kreuzzeichen. Nur Jakob Schreevogl schüttelte den Kopf.
»Wenn das ein Hexenmal ist, dann müsst ihr mich mitverbrennen!«
Der junge Patrizier hatte sein Hemd aufgeknöpft und zeigte auf einen braunen Fleck auf seiner flaumig behaarten Brust. Tatsächlich wies auch dieses Muttermal eine merkwürdige Form auf. »Das hab ich, seit ich auf der Welt bin, und niemand hat mich bislang einen Hexer geheißen.«
Der Schreiber schüttelte den Kopf und wandte sich von der Hebamme ab. »So kommen wir nicht weiter. Kuisl, zeig ihr die Instrumente. Und erklär ihr, was wir vorhaben, solange sie nicht die Wahrheit sagt.«
Jakob Kuisl sah Martha Stechlin tief in die Augen. Dann zog er die Zange aus dem Feuerbecken und trat auf sie zu. Das Wunder war nicht eingetreten, er würde beginnen müssen.
In diesem Moment läuteten draußen die Sturmglocken.
6
Donnerstag,
den 26. April Anno Domini 1659,
4 Uhr nachmittags
S imon atmete den Duft den Frühlings ein. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte er sich richtig frei. Von fern war das Rauschen des Flusses zu hören. Die Wiesen glänzten in saftigem Grün. Schneeglöckchen leuchteten zwischen den Birken und Buchen, die bereits wieder Knospen trugen. Nur an den schattigen Stellen zwischen den Bäumen waren noch Flecken von Schnee zu sehen.
Er wanderte mit Magdalena oberhalb des Lechs durch die Auen, auf einem Pfad, der so schmal war, dass er und Magdalena sich immer wieder zufällig berührten. Schon zweimal war sie beinahe gestürzt, und jedes Mal hatte sie sich an ihm festgehalten. Länger als es eigentlich nötig gewesen wäre.
Nach dem Gespräch im »Stern« war Simon zum Lech geeilt. Er brauchte Ruhe zum
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