Die Henkerstochter
davor zurück, ihn auch zu befragen.«
»Und die Fugger?«, fragte Bürgermeister Semer.
Lechner lächelte. »Die Fugger waren vor dem Krieg ein großes Geschlecht. Jetzt kräht kein Hahn mehr nach ihnen. Außerdem: Sollte der Augsburger Rottmann wirklich unter der Tortur die Brandstiftung gestehen, dann wird’s eng für die Fugger. «
Er stand auf und rollte die beschriebene Pergamentrolle zusammen. »Und dann haben wir gegen Augsburg ein gutes Pfand in der Hand, nicht wahr?«
Die Ratsherren nickten. Es war gut, einen Gerichtsschreiber zu haben. Einen wie Lechner. Er gab einem das Gefühl, dass es für alles eine Lösung gab.
Die weiße, knochige Hand des Teufels griff nach dem Mädchen und drückte langsam zu. Clara spürte, wie er ihr die Luft abdrückte, ihre Zunge schwoll an zu einem fleischigen Klumpen, ihre Augen traten hervor und blickten in ein Gesicht, das sie nur noch verschwommen wie hinter einem Nebel wahrnahm. Der Teufel war haarig wie ein Ziegenbock, auf der Stirn wuchsen zwei verdrehte Hörner, die Augen leuchteten wie glühende Kohlen. Jetzt änderte sich das Gesicht, es war die Fratze der Hebamme, die ihr mit einem um Verzeihung heischenden Blick die Hände um den Hals krallte. Sie schien etwas zu flüstern, aber Clara konnte den Sinn der Worte nicht verstehen.
Weiß wie Schnee, rot wie Blut …
Schon wieder änderte sich das Gesicht. Ihr Stiefvater Jakob Schreevogl kniete über ihr, den Mund zu einem schiefen Grinsen verzerrt, fester und immer fester zudrückend. Clara spürte, wie das Leben aus ihr herausfloss, von fern hörte sie Kinderstimmen, es waren die Stimmen von Jungen. Mit Entsetzen merkte sie, dass es die toten Spielkameraden Peter und Anton waren, die um Hilfe schrien. Das Gesicht verwandelte sich erneut. Es war Sophie, die sie wild schüttelte und auf sie einredete. Jetzt hob sie die Hand und verpasste Clara eine schallende Ohrfeige.
Die Ohrfeige holte sie zurück in die Wirklichkeit.
»Wach auf, Clara! Wach auf! «
Clara schüttelte sich. Die Welt um sie herum wurdedeutlicher. Sie sah Sophie, wie sie sich über sie beugte; das ältere Mädchen streichelte ihr über die schmerzende Wange. Die feuchten Felswände, die sie umgaben, bemalt mit aschefarbenen Zeichen, Kreuzen und Formeln, gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit. Es war still und kühl. Von fern war das Rauschen der Bäume zu hören; ihre Holzpuppe lag neben ihr, schmutzig und zerrissen zwar, aber trotzdem eine Ahnung von Heimat. Clara lehnte sich beruhigt zurück. Hier unten würde sie der Teufel niemals finden.
Was ... was ist passiert?«, flüsterte sie.
»Was passiert ist?« Sophie konnte schon wieder lachen. »Geträumt hast du, und mit deinen Schreien hast mir gehörig Angst gemacht. Ich war draußen, als ich dich plötzlich hab kreischen hören. Hab schon gedacht, die hätten uns gefunden ... «
Clara versuchte sich aufzurichten. Als sie ihren rechten Fuß belastete, fuhr ein Schmerz durch das Bein bis hinauf zur Hüfte. Keuchend musste sie sich wieder hinlegen. Der Schmerz ließ nur langsam nach. Sophie blickte besorgt nach unten. Als auch Clara hinsah, konnte sie erkennen, dass ihr rechter Knöchel dick wie ein Apfel war. Der Fuß war gesprenkelt mit blauen Flecken, auch das Schienbein darüber wirkte geschwollen. Ihre Schulter tat weh, wenn sie den Oberkörper drehte. Ihr fröstelte, das Fieber meldete sich zurück.
Plötzlich fiel ihr die Flucht wieder ein. Der Sprung aus dem Fenster, das panische Hasten durch die Straßen der Stadt, der zweite Sprung von der Eiche an der Stadtmauer hinunter ins Gebüsch. Sie hatte gleich gemerkt, dass sie falsch aufgekommen war, aber die Angst hatte sie weiterlaufen lassen. Immer weiter durch die Felder, hinein in den Wald. Äste waren ihr wie Hände übers Gesicht gefahren,ein paar Mal war sie hingefallen, doch sie hatte sich immer wieder aufgerappelt und war weiter gerannt. Schließlich hatte sie das Versteck erreicht. Wie ein Sack Getreide war sie zu Boden gesackt und sofort eingeschlafen. Erst am nächsten Morgen hatte Sophie sie geweckt.
Das rothaarige Mädchen hatte sich genau wie sie aus der Stadt geschlichen. Clara war so froh, dass Sophie bei ihr war. Mit ihren dreizehn Jahren schien sie fast schon erwachsen; bei ihren Spielen hier draußen im Versteck war sie beinahe wie eine Mutter für Clara gewesen. Überhaupt, ohne Sophie würde es ihren Bund gar nicht geben, dann wäre sie immer noch ein einsames Mündel, gehänselt von den Geschwistern,
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