Die Henkerstochter
gehabt.«
Lechner nickte. »Wenn es nach mir gegangen wär, wären wir jetzt schon weiter«, sagte er. »Aber der Zeuge Schreevogl hat um Aufschub gebeten. Seiner Frau geht es nicht gut. Außerdem wollten wir erst die Rottleute wegen der Brandstiftung befragen.«
»Und? « Spitalpfleger Hardenberg sah auf. In seinen Augen glomm Wut. »Wer war’s? Wer ist der Sauhund? Noch heute soll er tanzen am Strick!«
Der Gerichtsschreiber zuckte mit den Schultern. »Wir wissen es noch nicht. Der Brückenwächter und der Riegg Georg haben beide berichtet, dass das Feuer sehr schnell um sich griff. Da hat einer mehr als nur gezündelt. Aber keiner hat einen von den Augsburgern gesehen. Die kamen erst später, um ihre Ware zu retten.«
»Sehr schnell kamen die«, meldete sich Matthias Holzhofer, der Dritte Bürgermeister, zu Wort, ein korpulenter, glatzköpfiger Mann, der mit Lebkuchen und Naschwerk ein Vermögen gemacht hatte. »Haben all ihre Ballen rausgeschafft und kaum Verlust gemacht. Die sind fein raus.«
Bürgermeister Semer raufte sich seine wenigen Haare. »Wäre es denn möglich, dass die Augsburger Feuer gelegt und dann schnell ihre Waren in Sicherheit gebracht haben? «, fragte er. »Wenn die wirklich eine neue Handelsstraße bauen wollen, dann müssen sie dafür sorgen, dass die Leut bei uns nicht mehr lagern können. Und das ist ihnen gelungen.«
Der Zweite Bürgermeister Püchner schüttelte den Kopf. »Glaub ich nicht«, sagte er. »Ein falscher Wind, ein brennenderBalken, und die wären ihre Waren genauso los gewesen wie wir unsere.«
»Und wenn schon«, meinte Karl Semer. »Was sind für die Augsburger schon die paar Ballen und Fässer? Wenn die ihre Handelsstraße bekommen, dann kannst du das in Gold nicht aufwiegen. Zuerst die Siedlung für die Leprakranken vor der Stadtmauer, jetzt der abgebrannte Stadl, die graben uns das Wasser ab!«
»Apropos Siechenhaus ... «, fiel ihm der Gerichtsschreiber ins Wort. »Nicht nur der Stadl ist gestern Abend zerstört worden, auch auf der Baustelle des Siechenhauses hat jemand böse gewütet. Der Pfarrer hat mir berichtet, dass dort die Gerüste umgerissen worden sind. Jemand hat Teile der Grundmauern umgestürzt, Mörtel ist verschwunden, das Bauholz zersplittert ... Die Arbeit von Wochen ist beim Teufel.«
Bürgermeister Semer nickte bedächtig. »Ich habe immer gesagt, dass der Bau so einer Siedlung für Leprakranke hier nicht willkommen ist. Die Leute haben einfach Angst, dass die Händler ausbleiben, wenn wir hier direkt vor den Toren ein Siechenhaus errichten. Außerdem, wer kann schon garantieren, dass die Krankheit vor unserer Stadt Halt macht. Seuchen breiten sich aus!«
Der grauhaarige Spitalpfleger Wilhelm Hardenberg stimmte ihm zu. »Diese Zerstörung ist sicher zu verurteilen, auf der anderen Seite ... Man kann schon verstehen, wenn sich die Leute wehren, keiner will diese Siedlung, und trotzdem wird sie gebaut. Aus einem falschen Verständnis von Barmherzigkeit heraus!«
Bürgermeister Semer nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bleikristallglas, bevor er sprach. »Barmherzigkeit muss da aufhören, wo die Interessen der Stadt gefährdet sind, das ist meine Meinung.«
Der blinde Augustin schlug mit dem Stock gegen den Tisch, dass der teure Portwein in den Karaffen bedrohlich hin und her schwappte.
»Dummes Zeug! Wen interessiert jetzt schon das Siechenhaus! Wir haben dringendere Probleme. Wenn die Augsburger Wind davon bekommen, dass wir einen ihrer Rottführer eingesperrt haben, noch dazu einen der Fugger ... Ich sage, lasst die Rottleute frei und verbrennt die Hexe, dann herrscht wieder Ruhe in Schongau!«
Der Zweite Bürgermeister Johann Püchner schüttelte weiter den Kopf. »Das passt doch alles nicht zusammen«, sagte er. »Der Brand, die Morde, die Entführung, das zerstörte Siechenhaus ... Die Stechlin ist doch längst eingesperrt, und trotzdem geht das weiter!«
Auch die anderen fingen nun an, wild durcheinanderzureden.
Gerichtsschreiber Johann Lechner hatte sich die Streitereien ruhig angehört und gelegentlich mitgeschrieben. Jetzt räusperte er sich. Sofort sahen ihn die Ratsherren erwartungsvoll an. Er ließ sich mit der Antwort Zeit.
»Ich bin von der Unschuld der Augsburger noch nicht ganz überzeugt«, sagte er schließlich. »Ich schlage deshalb vor , lasst uns die Stechlin heute foltern. Wenn sie neben den Kindermorden den Brand gesteht, können wir den Augsburger Fuhrmann immer noch freilassen. Wenn nicht, scheue ich nicht
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