Die Henkerstochter
ganze Reihe Krüge zerdeppert. Sind einfach in den Schankraum, haben sich ein Laib Brot gepackt, und im Weglaufen haben sie die Krüge umgestoßen, Saubande!«
»Wie sahen die Kinder denn aus?«
Strasser hatte sich mittlerweile in Rage geredet.
»Eine Saubande ist das! Nichts als Unfug im Kopf, lauter Waisen aus der Stadt. Undankbares Pack! Statt sich demütig zu freuen, dass sie jemand aufgenommen hat, werden’s auch noch frech!«
Simon atmete tief durch. Die Kopfschmerzen machten sich wieder bemerkbar.
»Wie sie aussahen, möchte ich wissen«, flüsterte er. Der Wirt blickte nachdenklich. »So eine Rothaarige war dabei, Hexenhaar ... Ich sag ja, die taugen nichts.« »Und Ihr habt keine Ahnung, wo dieses Versteck sein könnte?«
Franz Strasser wirkte irritiert.
»Was hast denn mit dem Jungen?«, fragte er. » Hat er was ausgefressen, dass du ihn so dringend suchst?« Simon schüttelte den Kopf.
»Ist nicht so wichtig.« Er legte dem Wirt einen Kreuzer für das Bier auf den Tisch und verließ die dunkle Kaschemme. Kopfschüttelnd sah ihm Franz Strasser nach.
»Saubande, vermaledeite!«, rief er dem Medicus noch hinterher. »Wennst ihn siehst, gib ihm ein paar hinter die Ohren! Er hat’s verdient!«
8
Freitag,
den 27. April Anno Domini 1659,
10 Uhr vormittags
D er Schreiber saß im Rathaus am großen Sitzungstisch und trommelte mit den Fingern irgendeinen Landsknechtsmarsch, dessen Melodie ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Sein Blick glitt über die feisten Gesichter der Männer, die vor ihm Platz genommen hatten. Rote, hängende Wangen, triefende Augen, sich lichtendes Haar … Auch die modisch geschnittenen Röcke und die sorgsam gestärkten Spitzentücher konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Männer ihren Zenit überschritten hatten. Sie klammerten sich an ihre Macht und an ihr Geld, weil ihnen sonst nichts blieb, dachte Lechner. In ihren Augen lag eine Hilflosigkeit, so dass sie ihm fast schon wieder leidtaten. In ihrer kleinen, schönen Stadt war der Teufel los, und sie konnten nichts dagegen unternehmen. Der Stadl war abgebrannt, so mancher von ihnen hatte viel Geld verloren, und irgendetwas dort draußen nahm ihnen ihre Kinder. Die Mägde und Knechte, die Bauern und einfachen Leute erwarteten von ihnen, den Herren der Stadt, dass sie aufräumten. Aber sie waren allesamt ratlos, und so blickten sie Lechner an, als könne er mit einem Fingerschnippen, mit einem Kratzen seiner Schreibfeder, das Unheil von ihnen nehmen. Lechner verachtete sie, auch wenn er ihnen das nie zeigen würde.
Schlag nie den Esel, auf dem du sitzt …
Er läutete die Glocke und eröffnete die Sitzung.
»Habt Dank, dass ihr so schnell eure bestimmt wichtigen Geschäfte unterbrechen konntet für diese kurz anberaumte Sitzung des Inneren Rats«, begann er. »Aber ich glaube, es ist notwendig.«
Die sechs Ratsherren nickten eifrig. Bürgermeister Karl Semer fuhr sich mit seinem Spitzentuch über die verschwitzte Stirn. Der Zweite Bürgermeister Johann Püchner knetete seine Hände und murmelte Zustimmung. Ansonsten herrschte Stille. Nur der alte Spitalpfleger Wilhelm Hardenberg stieß mit schmalen Lippen einen Fluch gegen die Decke. In Gedanken hatte er gerade ausgerechnet, wie viel ihn der Brand im Stadl kostete. Zimt, Naschwerk, Ballen feinster Stoffe, alles zu Asche verbrannt.
»Herrgott im Himmel, dafür muss einer bezahlen!«, jammerte er. »Bezahlen muss das einer!«
Der blinde Matthias Augustin schlug mit seinem Gehstock ungeduldig auf den Eichenholzboden. »Mit Fluchen kommen wir auch nicht weiter«, sagte er. »Lasst den Lechner sprechen, was die Vernehmungen der Rottleute ergeben haben.«
Der Gerichtsschreiber sah ihn dankbar an. Wenigstens einer, der außer ihm noch einen kühlen Kopf bewahrte. Dann fuhr er in seiner Rede fort. »Wie ihr alle wisst, ist letzten Abend die kleine Clara Schreevogl von einem Unbekannten entführt worden. Sie hat sich vorher genau wie die beiden toten Kinder bei der Stechlin herumgetrieben. Die Leute wollen den Teufel auf der Straße gesehen haben.«
Ein Zischen und Murmeln ging durch den Ratssaal, manche schlugen das Kreuzzeichen. Johann Lechner hob beschwichtigend die Hände. »Die Leute sehen viel, auch Dinge, die es nicht gibt«, sagte er. »Ich hoffe, dass wir nachder Vernehmung der Stechlin heute Nachmittag mehr sagen können.«
»Warum ist die Hex nicht schon längst auf der Streckbank?«, murrte der alte Augustin. »Die ganze Nacht habt’s Zeit
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