Die Henkerstochter
geschlagen, gezwickt und getreten, ohne dass die Stiefeltern davon etwas bemerkten.
»Halt jetzt still.«
Aus einem mitgebrachten Sack zog Sophie Eichenrinde und Lindenblätter, die mit einer Paste bestrichen waren, und begann den Knöchel von Clara damit zu umwickeln. Dann schnürte sie das Ganze mit Rindenfasern fest. Clara spürte eine angenehme Kühle an ihrem Fuß, der Knöchel schien nicht mehr so zu schmerzen. Während sie noch den geschickt geknüpften Verband ihrer Blutsschwester bewunderte, griff Sophie hinter sich.
»Hier, trink. Hab ich dir mitgebracht.« Die Freundin reichte ihr eine Tonschüssel, in der eine gräuliche Flüssigkeit schwappte.
»Was ist das?«
Sophie grinste. »Frag nicht, trink. Ein ... Heiltrank. Hab ich bei der Stechlin gelernt. Das lässt dich wieder ruhig einschlafen. Und wenn du aufwachst, geht’s deinem Fuß schon viel besser.«
Clara blickte skeptisch auf das Gebräu, das scharf nach Brennnessel und Minze roch. Sophie hatte bei der Hebammeimmer genau aufgepasst, ihrem scharfen Verstand war nichts entgangen, wenn ihnen Martha Stechlin Frauengeheimnisse erzählte. Sie hatte ihnen von Giften und Heiltränken berichtet, sie gewarnt, dass zwischen beiden oft nur ein paar Tropfen lagen.
Schließlich gab Clara sich einen Ruck und trank die Schüssel auf einen Zug aus. Es schmeckte grauenhaft, wie flüssiger Rotz, heiß floss es ihre Kehle hinab. Aber nur kurze Zeit später spürte sie ein warmes Pulsieren in ihrem Bauch, Strahlen von Wohlgefühl, die sich über ihren Körper verbreiteten. Sie lehnte sich an die Felswand hinter ihr, plötzlich war alles nicht mehr so schwer, alles schien lösbar.
»Was ... was glaubst du wird geschehen? Werden sie uns finden?«, fragte sie schließlich Sophie, die plötzlich ein warmer Lichtschein umgab.
Die Ältere schüttelte den Kopf. »Ich glaub nicht. Wir waren schon zu weit vom Versteck weg. Aber kann sein, dass sie hier in der Nähe suchen. Auf alle Fälle solltest du hier drinnen bleiben.«
Clara stiegen Tränen in die Augen. »Die Leute halten uns für Hexen!«, schluchzte sie. »Sie haben dieses verfluchte Mal gefunden, und jetzt halten sie uns für Hexen! Sie werden uns verbrennen, wenn wir zurückkommen. Und wenn wir hier bleiben, finden uns die Männer! Der ... der Teufel war dicht hinter mir, er hat mich angefasst ...« Ihre Worte gingen im Weinen unter. Sophie nahm ihren Kopf und bettete ihn auf ihren Schoß, um sie zu trösten.
Clara spürte mit einem Mal eine unendliche Müdigkeit. Sie hatte das Gefühl, als würden an ihren Armen Federn wachsen, Flügel, die sie davontrugen aus diesem Jammertal. Weg in ein fernes, warmes Land …Mit letzter Kraft fragte sie: »Haben sie den Peter und den Anton wirklich umgebracht?«
Sophie nickte. Sie schien plötzlich ganz weit weg zu sein.
»Und den Johannes?«, fragte Clara weiter.
»Weiß nicht«, sagte Sophie. »Ich werd nach ihm schauen, wenn du schläfst.« Sie strich Clara übers Haar. »Denk nicht dran. Du bist in Sicherheit.«
Mit ihren frisch gewachsenen Flügeln schwebte Clara hinauf zum Himmel.
»Ich ... ich kann nie wieder heim. Sie werden uns verbrennen«, murmelte sie schon fast schlafend.
»Keiner wird brennen«, sagte eine Stimme von fern. »Es gibt da jemanden, der hilft uns. Er wird den Teufel fangen, und dann wird alles wieder wie früher, versprochen ...«
»Ein Engel?«
»Ja, ein Engel. Ein Engel mit einem großen Schwert. Ein Racheengel.«
Clara lächelte. »Gut«, flüsterte sie. Dann trugen die Flügel sie davon.
Gegen elf Uhr vormittags klopfte Jakob Kuisl an das Tor der Fronfeste. Von innen war das Drehen eines Schlüssels im Schloss zu hören, die schwere Tür öffnete sich, und ein verdutzter Büttel Andreas blickte dem Henker direkt ins Gesicht.
»Du, jetzt schon?«, fragte er. »Ich hab gemeint, die Befragung geht erst mittags los ... «
Kuisl nickte. »Hast recht, aber ich muss noch was vorbereiten. Weißt eh ...« Er machte eine Bewegung, als würde er seinen Arm in die Länge ziehen. »Heut geht’s los mit dem Zwicken und Strecken, ich brauch eine heiße Glut. Außerdem sind die Stricke marod.«
Er hielt dem kalkweißen Stadtwächter eine Rolle neues Tau unter die Nase und deutete nach drinnen.
»Werd schon alles seine Richtigkeit haben«, murmelte Andreas und ließ den Henker eintreten. Dann hielt er ihn noch einmal an der Schulter fest.
»Kuisl? «
»Ja? «
»Tu ihr ned weh, ja? Ned mehr als sein muss. Sie hat meine Kinder zur Welt
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