Die Henkerstochter
sie zukam, schlugen manche ein Kreuz. Der Pfarrer unterbrach seine Litanei und starrte feindselig zu ihnen hinüber.
»Was hat der Schongauer Henker hier verloren?«, fragte er misstrauisch. »Hier gibt’s keine Arbeit für dich! Der Teufel hat sein Werk bereits getan!«
Jakob Kuisl ließ sich nicht beirren. »Ich hab gehört, es hat einen Unfall gegeben. Vielleicht kann ich helfen?«
Der Pfarrer schüttelte den Kopf. »Ich hab dir doch gesagt, es gibt nichts mehr zu tun. Der Junge ist tot. Der Teufel hat ihn sich geholt und mit seinem Zeichen gebrandmarkt.«
»Lasst den Henker ruhig kommen!«, ertönte nun die Stimme des Strasser-Wirts. Simon erkannte ihn zwischen den Bauern, die an der Bahre standen. »Er soll sehen, was diese Hexe mit meinem Jungen gemacht hat. Damit er ihr einen besonders langsamen Tod beschert!« Das Gesicht des Strasser-Wirts war kalkweiß, die Augen glühten förmlich vor Hass, während seine Blicke zwischen dem Henker und seinem toten Ziehsohn hin und her wanderten.
Neugierig näherte sich Jakob Kuisl der Bahre. Simon folgte ihm. Die zusammengenagelten Bretter waren mit Reisig und frischen Tannenzweigen bedeckt. Der harzige Duft überdeckte nur mühsam den Gestank, der von dem Leichnam ausging. Johannes Strassers Körper wies an den Gliedmaßen bereits schwarze Flecken auf, Fliegen summten um sein Gesicht. Jemand hatte gnädig zwei Münzen auf die offenen Augen gelegt, die schreckensgeweitet in den Himmel starrten. Unter dem Kinn befand sich ein tiefer Schnitt, der fast von einem Ohr zum anderen reichte. Getrocknetes Blut klebte auf dem Hemd des Jungen, auch hier tummelten sich die Fliegen.
Unwillkürlich zuckte Simon zusammen. Wer tat so etwas?Der Junge war höchstens zwölf Jahre alt gewesen. Vermutlich hatte seine bislang größte Sünde darin bestanden, seinem Stiefvater einen Laib Brot oder einen Krug Milch zu stehlen. Und nun lag er hier, bleich und kalt, ein blutiger Tod am Ende eines viel zu kurzen, unglücklichen Lebens. Geduldet, nie geliebt, ein Aussätziger über den Tod hinaus. Auch jetzt gab es keinen, der ehrlich um ihn weinte. Mit gepressten Lippen stand der Strasser-Wirt an der Bahre, wütend zwar, voller Hass auf den Mörder, aber im Grunde ohne Trauer.
Vorsichtig drehte der Henker den Strasserjungen zur Seite. Unterhalb des Schulterblatts prangte das violette Mal, verwaschen, aber noch gut sichtbar. Ein Kreis, aus dessen unterem Ende ein Kreuz ragte.
»Das Mal des Teufels«, flüsterte der Pfarrer und schlug ein Kreuz. Dann setzte er zum Vaterunser an.
»Pater noster, qui est in caelis, sanctificetur nomen tuum «
»Wo habt’s ihn gefunden?«, fragte Jakob Kuisl, ohne den Blick von der Leiche zu wenden.
»Im Stall, ganz hinten, unter ein paar Strohballen versteckt.«
Simon blickte sich um. Es war der Strasser Franz, der gesprochen hatte. Hasserfüllt sah der Wirt auf das hinunter, was einst sein Mündel gewesen war.
»Er muss da schon die ganze Zeit gelegen haben. Die Josepha hat heut früh nachgesehen, weil’s so gestunken hat. Hat geglaubt, da liege ein totes Tier. Aber dann war’s der Johannes ...«, murmelte er.
Simon fröstelte. Es war der gleiche Schnitt wie beim kleinen Anton Kratz vor einigen Tagen. Peter Grimmer, Anton Kratz, Johannes Strasser ... Was war mit Sophie und Clara? Hatte sie der Teufel auch schon erwischt?
Der Henker beugte sich hinunter und begann die Leiche zu inspizieren. Er fuhr über die Wunde, schaute nach zusätzlichen Verletzungen. Als er nichts fand, roch er am Leichnam.
»Drei Tage, länger nicht«, sagte er. »Der ihn umgebracht hat, versteht sein Handwerk. Ein sauberer Schnitt durch die Kehle.«
Der Pfarrer sah ihn böse von der Seite an. »Das reicht, Kuisl«, blaffte er. »Du kannst gehen. Das hier ist Aufgabe der Kirche. Kümmere dich lieber um diese Hexe bei euch im Ort, diese Stechlin! Die ist doch für das alles hier verantwortlich! «
Der Strasser-Wirt neben ihm nickte. »Bei der war der Johannes oft. Zusammen mit den anderen Mündeln und dieser rothaarigen Sophie. Die hat ihn verhext, und jetzt holt sich der Teufel die Seelen der kleinen Kinderlein!«
Ein allgemeines Murmeln und Beten erhob sich. Der Strasser wurde mutiger.
»Sag den hohen Herren in der Stadt, wenn sie nicht bald aufräumen mit der Hexenbrut, dann holen wir sie uns selbst!«, schrie er den Henker an. Sein Kopf schwoll rot an vor Zorn.
Ein paar Bauern pflichteten ihm lautstark bei, als er seine Rede fortsetzte: »Wir hängen sie am höchsten
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