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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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dann ein Kind anhängen lässt und mit Schimpf und Schande aus der Stadt geworfen wirst. So weit kommt’s noch, dass ich meiner eigenen Tochter die Schandmaske aufsetzen muss!«
    »Ich ... ich kann für Magdalena sorgen«, meldete sich jetzt wieder Simon, der sich immer noch zwischen den Lenden rieb. »Wir könnten in eine andere Stadt gehen und dort ...«
    Ein weiterer Hieb erwischte ihn an der ungeschützten Seite in Höhe der Nieren, so dass er sich erneut japsend zusammenkrümmte.
    »Einen Dreck werdet ihr machen! Wollt’s betteln gehen, oder was? Die Magdalena wird meinen Vetter in Steingaden heiraten, so ist’s ausgemacht. Und jetzt komm da runter! «
    Jakob Kuisl rüttelte an der Leiter. Das Gesicht Magdalenas war weiß geworden.
    » Wen soll ich heiraten?«, fragte sie mit tonloser Stimme.
    »Den Kuisl Hans aus Steingaden, eine gute Partie«, brummte der Henker »Ich hab mit ihm erst vor ein paar Wochen drüber geredet.«
    »Und das sagst du mir einfach so, hier ins Gesicht?« »Irgendwann hätt ich’s dir sowieso gesagt.«
    Ein weiterer Strohballen traf den Henker am Kopf, so dass er taumelte und nur mit Mühe stehen blieb. Diesmal hatte er nicht damit gerechnet. Trotz des Schmerzes musste Simon schmunzeln. Magdalena hatte die Schnelligkeit ihres Vaters geerbt.
    »Keinen werd ich heiraten«, schrie sie von oben hinunter. »Schon gar nicht den fetten Steingadener Hans. Der stinkt aus dem Maul und hat keine Zähne mehr! Ich bleib beim Simon, nur dass du’s weißt!«
    »Stures Weibsbild«, knurrte der Henker. Aber wenigstens schien er von dem Vorhaben abgekommen zu sein, seine Tochter mit Gewalt nach Hause mitzunehmen. Er steuerte auf den Ausgang zu. Als er das Scheunentor öffnete, drang die Morgensonne herein. Einen kurzen Moment blieb er im Licht stehen.
    »Übrigens, den Strasser Johannes haben sie tot aufgefunden, in einer Scheune in Altenstadt«, murmelte er, schon beim Hinausgehen. »Auch er trägt dieses Zeichen. Hab’s von der Magd vom Strasser-Wirt erfahren. Den schau ich mir jetzt mal an. Wennst willst, kannst ja mitkommen, Simon. «
    Dann ging er nach draußen in den kühlen Morgen. Simon zögerte kurz. Er warf einen Blick zu Magdalena hoch, doch die hatte sich schluchzend im Heu vergraben.
    »Wir ... wir reden noch«, flüsterte er in ihre Richtung. Dann humpelte er dem Henker hinterher.
     
    Lange Zeit gingen sie schweigend dahin. Sie passierten die Floßlände, wo um diese Zeit bereits die ersten Flöße anlegten, und wandten sich nach links, um über den Natternsteig die Straße nach Altenstadt zu erreichen. Bewusst vermieden beide den Weg direkt durch die Stadt; sie wollten alleine sein. Hier auf dem schmalen Trampelpfad, der sich unterhalb der Stadtmauer entlangwand, war keine Menschenseele zu sehen.
    Erst jetzt ergriff Simon das Wort. Er hatte lange überlegt und wählte die Worte mit Bedacht.
    »Es ... tut mir leid«, begann er stockend. »Aber es stimmt, ich liebe Eure Tochter. Und ich kann für sie sorgen, ich hab studiert, wenn auch nicht zu Ende. Das Geld ist mir ausgegangen. Aber es reicht, um mich als fahrender Chirurgus über Wasser zu halten. Zusammen mit dem, was Eure Tochter alles weiß ... «
    Der Henker blieb stehen und blickte von der Anhöhe hinunter ins Tal, wo sich die Wälder bis zum Horizont erstreckten.
    »Weißt du überhaupt, was es heißt, da draußen für dein täglich Brot zu sorgen?«, unterbrach er, ohne den Blick von der Landschaft abzuwenden.
    »Ich bin schon mit meinem Vater umhergezogen«, entgegnete Simon.
    »Er hat für dich gesorgt, und dafür solltest du ihm ewig dankbar sein«, sagte der Henker. »Diesmal wärst du allein, du müsstest dich um deine Frau kümmern und um deine Kinder. Du müsstest von Jahrmarkt zu Jahrmarkt ziehen, ein Quacksalber, der seine billigen Tinkturen wie saures Bier anpreist, beworfen mit fauligen Kohlblättern und verspottet von Bauern, die einen Dreck von deiner Heilkunst verstehen. Die studierten Ärzte in den Städten würden dafür sorgen, dass du hinausgeworfen wirst, kaum dass du einenFuß in ihre Stadt gesetzt hast. Deine Kinder würden dir vor Hunger wegsterben. Willst du das?«
    »Aber ich habe mit meinem Vater immer ein Auskommen gehabt ...«
    Der Henker spuckte aus.
    »Das war im Krieg«, fuhr er fort. »Wenn Krieg ist, gibt’s immer was zu tun. Glieder zersägen, Wunden mit Öl ausgießen, die Toten wegschleppen und mit Kalk bestreuen. Jetzt ist kein Krieg mehr. Es gibt kein Heer mehr, mit dem man mitziehen

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