Die Henkerstochter
kann. Und ich dank Gott dafür!«
Der Henker setzte sich wieder in Bewegung. Simon folgte ihm mit einigen Schritten Abstand.
»Meister?«, fragte er nach einigen Minuten des Schweigens. »Darf ich Euch etwas fragen?« Jakob Kuisl ging weiter. Er sprach, ohne sich umzudrehen.
»Was willst du?«
»Ich habe gehört, Ihr wart nicht immer in Schongau. Ihr habt diese Stadt verlassen, als Ihr so alt wart wie ich jetzt. Warum? Und warum seid Ihr zurückgekommen?«
Der Henker blieb erneut stehen. Sie hatten die Stadt fast umrundet. Vor ihnen tauchte rechter Hand die Straße nach Altenstadt auf, auf der ein Fuhrwerk mit Ochsen gemächlich dahinzockelte. Dahinter zogen sich Wälder bis zum Horizont. Jakob Kuisl schwieg so lange, dass Simon bereits meinte, er würde keine Antwort mehr bekommen. Endlich fing der Henker zu sprechen an.
»Ich wollte keinen Beruf, der mich dazu verdammt zu töten«, sagte er.
»Und was habt Ihr stattdessen gemacht?«
Jakob Kuisl lachte leise.
»Ich habe erst recht getötet. Wahllos. Ziellos. Männer. Frauen. Kinder. Es war ein Rausch.«
»Ihr wart ein ... Söldner?«, hakte Simon vorsichtig nach.
Wieder schwieg der Henker lange, bevor er zur Antwort ansetzte.
»Ich hatte mich dem Heer von Tilly angeschlossen. Halunken, Wegelagerer, aber auch aufrechte Männer und Abenteurer, so wie ich einer war ... «
»Ihr habt einmal erwähnt, Ihr wärt in Magdeburg gewesen ... «, fragte Simon weiter.
Ein kurzes Zucken ging durch den Körper des Henkers. Selbst bis hier hinunter nach Schongau waren die Gräuelgeschichten über den Untergang der Stadt im fernen Norden gedrungen. Die katholischen Truppen unter dem Feldherren Tilly hatten den Ort praktisch dem Erdboden gleichgemacht. Nur wenige Einwohner hatten das Massaker überlebt. Simon hatte davon gehört, dass die Landsknechte Kinder wie Lämmer geschlachtet hatten, Frauen hatten sie vergewaltigt und danach wie den Heiland an die Türen ihrer Häuser genagelt. Selbst wenn nur die Hälfte der Geschichten wahr war, die andere Hälfte reichte bereits aus, um die Schongauer Bürger Dankgebete sprechen zu lassen, dass ihnen solch ein Gemetzel erspart geblieben war.
Jakob Kuisl war weitermarschiert. Mit schnellen Schritten holte ihn Simon auf der Altenstadter Straße ein. Er spürte, dass er zu weit gegangen war.
»Warum seid Ihr zurückgekommen?«, fragte er nach einer Weile des Schweigens.
»Weil’s den Henker braucht«, murmelte Jakob Kuisl. »Sonst geht alles den Bach runter. Wenn das Töten schon sein muss, dann wenigstens richtig, nach Recht und Gesetz. Also bin ich heim nach Schongau, damit’s eine Ordnung hat. Und jetzt sei still, ich muss nachdenken.«
»Werdet Ihr Euch das mit der Magdalena noch einmal überlegen?«, versuchte es Simon ein letztes Mal.
Der Henker sah ihn mit zornigem Blick von der Seite an. Dann schritt er aus, in einem Tempo, dass Simon Mühe hatte, ihm zu folgen.
Eine gute halbe Stunde waren sie nebeneinander hergegangen, als vor ihnen die ersten Häuser Altenstadts auftauchten. Den wenigen Sätzen, die Kuisl in dieser Zeit sprach, konnte Simon entnehmen, dass man den Johannes Strasser heute in aller Frühe tot im Stall seines Stiefvaters gefunden hatte. Josepha, eine Magd des Wirts, hatte ihn zwischen den Strohballen entdeckt. Gleich nachdem sie es dem Strasser-Wirt erzählt hatte, war sie hinüber zum Henker nach Schongau gelaufen, um sich bei ihm Johanniskraut zu besorgen. Zum Kranz gewunden sollte es helfen, böse Mächte abzuwehren. Die Magd war davon überzeugt, dass der Teufel den Jungen geholt hatte. Der Henker hatte Josepha das Kraut gegeben, ihre Geschichte angehört und war kurz darauf selbst aufgebrochen, nicht ohne unterwegs dem Geliebten seiner Tochter eine zünftige Abreibung zu verpassen. Im Morgengrauen war er einfach ihren Spuren gefolgt und hatte die Scheune so ohne große Schwierigkeiten gefunden.
Jetzt standen sie beide vor dem Altenstadter Wirtshaus, das Simon erst wenige Tage zuvor besucht hatte. Sie waren nicht alleine. Eine Gruppe von Bauern und Fuhrleuten aus der Gegend scharte sich flüsternd auf dem Vorplatz um eine Bahre, die man notdürftig aus ein paar Brettern zusammengenagelt hatte. Einige der Frauen hielten Rosenkränze in den Händen; zwei Mägde knieten betend, den Oberkörper auf und ab wiegend, am Kopf der Bahre. Auch den Altenstadter Dorfpfarrer konnte Simon erkennen. Lateinisch gemurmelte Verse drangen zu ihnen herüber. Als die Altenstadter bemerkten, dass der Henkerauf
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