Die Herren der Unterwelt 02 - Schwarzer Kuss
letzten Jahrzehnten gewöhnt hatte.
Aus dem Nachbarzimmer drang das Scheppern zweier Säbel. Dieses Geräusch kannte er gut. Leise ging er hinüber, denn er wusste, dass er für die Kämpfenden unsichtbar sein würde.
Sobald er die Tür erreicht hatte, rang er nach Luft, denn er musste den Schock verdauen. Er sah Danika, die zum Untergang verdammte Frau, hinter der Reyes her war. Sie stieß immer wieder zwei Schwerter in einen Sack, der von der Decke hing. Er hatte die Form eines Menschen und sah aus wie eine Mischung aus Reyes und Aeron.
„So, du willst mich also entführen?“, stieß sie keuchend hervor. Der Schweiß rann ihr an Schläfen und Hals herab, und ihr graues Unterhemd klebte an ihrem Körper. Die blonden Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, blieben an ihrem Nacken haften. Um so ins Schwitzen zu kommen, musste sie seit Stunden in der kalten Wohnung trainiert haben.
Warum war Anya dorthin gegangen? Danika hatte sich versteckt. Sie ab und an in Ruhe zu lassen, war der einzige Weg gewesen, der Sterblichen so etwas wie ein Leben zu gönnen, bevor Aeron ihr auf den Schwingen des Zorns nachjagte und sie stellte, wie die Götter es befohlen hatten. Und das würde er tun. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Aeron dem Verlies entkam. Es gab nur eine Fessel, die ihn auf Dauer wirklich halten konnte – sie musste von den Göttern geschmiedet sein.
Lucien war versucht, seine Deckung aufzugeben und sich zu erkennen zu geben, um mit Danika zu reden. Aber er entschied sich dagegen. Sie war nicht gut auf ihn zu sprechen und würde ihm kaum helfen, Anya zu finden. Mit zwei Fingern strich er sich übers Kinn. Was immer die Göttin der Anarchie auch umtrieb, sie interessierte sich für alles, was in der Unterwelt eine Rolle spielte.
Lucien war noch irritierter als zuvor.
Dort würde er keine Antworten finden. Es tauchten nur noch mehr Fragen auf. Unnütz, seine Zeit weiter zu verschwenden. Er folgte Anyas erleuchteter Spur, die nun hellrot war – Zorn keimte wieder auf – und fand sich …
… in einer Tankstelle wieder. So glaubte er zumindest, nannten die Sterblichen diese Art von Geschäft.
Er runzelte die Stirn. Helles Sonnenlicht fiel durch die Fensterscheiben, also konnte er nicht mehr in Budapest sein. Im Laden befanden sich viele Menschen, einige zahlten ihr Benzin, andere kauften eine Kleinigkeit zu essen.
Unbemerkt ging Lucien hinaus. Eine Reihe gelber Autos jagte die Straße entlang, und Sterbliche eilten den Bürgersteig hinauf und hinab. Nachdem er eine kleine, schattige Gasse gefunden hatte, materialisierte sich Lucien unauffällig. Neugierig ging er dann zurück in den Verkaufsraum der Tankstelle.
Eine Frau holte tief Luft, als sie ihn sah, dann schaute sie so schnell wie möglich wieder weg. Ein Kind zeigte mit dem Finger auf ihn und wurde von seiner Mutter zurechtgewiesen. Jeder trat einen Schritt zurück, sobald sein Blick auf Lucien fiel. Wenn auch die meisten versuchten, es so unauffällig wie möglich zu tun, ohne offensichtlich unhöflich zu erscheinen. An der Kasse stand eine Schlange, an der er bis nach vorn vorbeiging, ohne sich zu entschuldigen.
Keiner der Kunden protestierte.
Der Kassierer war ein Teenager, der Gideon sehr ähnlich sah. Seine Haare waren blau gefärbt, sein Körper tätowiert und gepierct. Dennoch fehlte ihm Gideons Wildheit, während er seine Kaugummiblase platzen ließ und die Geldscheine in die jeweiligen Fächer sortierte. Auf einem Schild an seinem Hemd stand sein Name.
„Dennis, hast du hier eine blonde Frau gesehen, die einen engen schwarzen Rock …“
„Und ein hellblaues winziges Top trug? Ja, die habe ich gesehen“, erwiderte Dennis, während er die Kassenschublade schloss. Lucien erkannte den Akzent. Er befand sich offenbar in den USA. Der Junge hob den Blick und erstarrte. Er schluckte. „Oh … ja.“ Seine Stimme zitterte. „Ich habe sie gesehen. Darf ich fragen, warum?“
Lucien nahm drei unterschiedliche Regungen bei sich wahr, die er nicht sonderlich schätzte: Eifersucht, dass ein anderer Mann Anya gern angeschaut hatte, Ungeduld, weil er ihr auf der Spur war und Furcht, da er sie vielleicht jeden Moment finden würde. „Hat sie mit jemandem geredet?“
Der Junge trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Hat sie etwas gekauft?“
Es gab eine längere Pause, als habe der Junge Angst, seine Antwort könne Lucien wütend machen. „Irgendwie schon.“
Irgendwie schon? Als Dennis nichts
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