Die Herren der Unterwelt 02 - Schwarzer Kuss
auf der Erde gelebt. Die Zeit schien einfach nicht zu verstreichen, ein Tag glich dem anderen. Dann hatte er Mariah gesehen, und plötzlich hatte sein Leben einen Sinn ergeben. Er hatte Sehnsucht nach etwas Gutem, etwas Reinem, das die Dunkelheit in seinem Inneren vertreiben konnte.
In dunkelster Nacht war sie sein Sonnenschein, eine helle Kerzenflamme in gnadenloser Düsternis, und er hatte gehofft, eine Ewigkeit damit verbringen zu dürfen, sie anzubeten. Aber nur zu bald wurde sie von einer Krankheit dahingerafft. Der Tod wusste sofort, dass sie nicht überleben würde. Lucien hätte ihre Seele in genau diesem Moment nehmen sollen, aber dazu hatte er sich nicht durchringen können.
Wochenlang hatte die Krankheit in ihrem Körper getobt und sie Stück für Stück aufgezehrt. Je länger Lucien wartete und hoffte, dass sie wieder gesund werden würde, desto stärker litt sie. Mit gebrochenem Herzen gab er nach und tat seine Pflicht, denn er wusste, sie würden nie wieder zusammen sein können.
In jener Nacht entstanden seine Narben.
Lucien verletzte sich selbst. Dazu hatte er eine Klinge mit Gift bestrichen. Jedes Mal, wenn ein Schnitt heilte, flehte er darum, Narben zu bekommen, und öffnete die Wunde wieder und wieder. Er hatte sich sogar Verbrennungen zugefügt, die so schlimm waren, dass seine Haut sich nicht wieder erholen konnte. In seiner Trauer hatte er gehofft, dass sich ihm nie wieder eine Frau nähern würde, und dass er nie wieder den Schmerz erdulden müsse, einen geliebten Menschen zu verlieren.
Nie hatte er diese Tat bereut. Bis jetzt. Er hatte damals die Chance vertan, ein Mann zu sein, den Anya tatsächlich begehren konnte. Eine Frau von solch einer perfekten Schönheit verdiente einen Mann, der ebenso aussah. Er runzelte die Stirn. Warum hatte er diese Gedanken? Sie musste sterben. Verlangen würde die ganze Sache nur komplizierter machen.
Wieder kreisten seine Gedanken um Anya. Ihr Gesicht war ein Fest für die Sinne, ihr Körper sorgte für erotische Höhepunkte. Als Mann hatte er bei dem bloßen Gedanken, diese Kreatur zerstören zu müssen, das Bedürfnis zu schreien. Und als ein unsterblicher Krieger war ihm ebenfalls zum Schreien zumute.
Vielleicht konnte er Cronus davon überzeugen, seinen Befehl zu widerrufen? Vielleicht … Lucien schnaubte. Nein. Das würde nicht funktionieren. Mit Cronus verhandeln zu wollen, war noch idiotischer, als sich einzubilden, ihn ignorieren zu können. Der König der Götter würde ihm höchstens einen Befehl erteilen, der noch furchtbarer war als der erste.
Verdammt! Warum wollte Cronus unbedingt, dass sie starb? Was hatte sie getan?
Hatte sie einen anderen ihm vorgezogen?
Lucien ignorierte die Tatsache, dass seine plötzlich aufflammende Eifersucht und Besitzgier dafür sorgte, dass er nicht mehr klar sehen konnte. Ebenso ignorierte er das Wort mein, das in seinen Ohren widerhallte.
„Ich warte“, erinnerte ihn Reyes und unterbrach damit seine Gedanken.
Er blinzelte und versuchte, seine Fantasie zu zügeln. „Worauf?“
„Dass du mir erzählst, was da draußen vorgefallen ist.“
„Nichts ist vorgefallen“, log er mühelos und hasste sich selbst dafür, dass er Reyes gegenüber nicht offen war.
Reyes schüttelte den Kopf. „Deine Lippen sind immer noch rot und geschwollen vom Küssen. Deine Haare stehen vom Kopf ab. Es ist offensichtlich, dass ihr euch vergnügt habt. Du hast dich vor sie gestellt, als wir versucht haben, ihr auf die Schliche zu kommen, und dann ist sie schließlich ganz verschwunden. Und das nennst du nichts? Nächster Versuch.“
Reyes hatte genug eigene Sorgen, da musste Lucien ihm nicht noch seine aufbürden. „Sag den anderen, wir treffen uns in Griechenland. Ich werde nicht wie geplant mit euch mitkommen.“
„Was?“ Reyes runzelte die Stirn. „Warum?“
„Ich habe den Befehl bekommen, eine Seele zu holen.“
„Eine Seele zu holen? Nicht, sie in den Himmel oder in die Hölle zu begleiten? Das verstehe ich nicht.“
Lucien nickte bedächtig. „Das musst du auch nicht verstehen mein treuer Freund.“
„Weißt du, ich hasse es, wenn du so kryptisch daherredest. Sag schon, wessen Seele es ist und warum du sie holen sollst?“
„Ist das nicht egal? Eine Seele ist eine Seele und das Ergebnis ist dasselbe, gleichgültig, was der Grund dafür ist. Es geht immer um den Tod.“ Lucien schlug Reyes auf die Schulter und erhob sich. Bevor der Krieger noch ein Wort sagen konnte, marschierte Lucien aus dem Club und
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