Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
von Lucien zu dem Lagerhaus beamen lassen, in dem Danika ihre Bilder aufbewahrte. Ihre Mutter, Schwester und Großmutter hatten ihn begleitet, was ihn sehr aufmunterte und tröstete.
Je länger er die Leinwandstapel durchsah, desto größer wurde seine Entschlossenheit, sich Danika zurückzuholen. Obwohl Kronos ihm nicht wieder erschienen war, spürte Reyes die stechenden Augen des Gottes auf sich ruhen, merkte, wie sie ihn beobachteten, in der Hoffnung, einen Blick auf das erwähnte mysteriöse Bild zu erhaschen.
Aber diesen Blick gewährte Reyes ihm nicht. Noch nicht. Obwohl es ihm schwerfiel, hatte er sich Danikas Kindheitsvideos seit jener Nacht auf dem Dach nicht mehr angeschaut. Er wusste, dass es sicherer war, darauf zu verzichten.
„Es dauert nicht mehr lange, mein Engel, dann sind wir wieder zusammen. Ich verspreche es dir.“ Er hatte dieses Versprechen schon mindestens hundertmal abgegeben. Für sie. Und für sich. So oft hatte er die Worte vor sich hin gemurmelt, dass Danikas Familie sich nicht mehr weiter darüber wunderte.
Ginger klopfte sich den Staub von den Händen. „Ich kann gar nicht glauben, mit was für Albträumen meine kleine Schwester da zu tun hatte.“
Tinka legte ihr einen Arm um die Taille. Sie sahen wunderschön aus, wie sie da beieinanderstanden, mit ihren glänzenden sandfarbenen Haaren und den rosigen Wangen. Danika müsste hier bei ihnen sein.
Schmerz grunzte seine Zustimmung.
„Sie ist stärker, als ich jemals gedacht hätte“, fuhr Ginger fort und warf einen Blick auf die Bilderstapel. „Und auch eine bessere Malerin, als ich vermutet hätte. Ich meine, ich wusste, dass sie gut ist, aber trotzdem hatte ich keine Ahnung.“
Tränen quollen aus Tinkas grünen Augen – Augen, die denen von Danika so ähnlich waren, dass Reyes schier zu platzen meinte, wenn er sie ansah. „Ich kann nicht glauben, dass ich meine Tochter dazu gebracht habe, sich so zu schämen, dass sie ihre Bilder hier versteckt hat. Dabei müssten sie eigentlich in einer Galerie hängen. Sie sind auf sehr eindringliche Weise schön, oder?“
Wie Danika selbst. „Ja, das sind sie.“
Mallory zog eine Plastiktüte aus ihrer Tasche, öffnete sie und bot ihm ein halbes Sandwich mit Erdnussbutter an. „Bevor wir aufgebrochen sind, hat uns deine Freundin Anya gesagt, dass wir dir helfen sollen, bei Kräften zu bleiben.“
Er nahm das Sandwich dankbar entgegen und verschlang es in zwei Bissen, gerührt von der Fürsorge seiner Freundin. Danikas Familie – und Anya selbst – schienen ihm das, was er ihnen angetan hatte, offenbar verziehen zu haben. „Wenn Danika wieder bei uns ist, wird sie nur noch zur Freude malen. Das verspreche ich euch.“
„Ich würde dich so gerne hassen“, sagte Ginger seufzend.
Seine Lippen kräuselten sich. Ihre scharfe Zunge amüsierte ihn und erinnerte ihn an Danika.
Würde ihn eigentlich alles an Danika erinnern?, fragte er sich. Er hatte nichts gegen diese Erinnerungen, er mochte sie, aber viel mehr davon würde er nicht verkraften, ohne zusammenzubrechen und sich seinem Schmerz über Danikas Verlust hilflos auszuliefern.
„Wonach genau suchen wir?“, fragte Tinka, die plötzlich neben ihm stand.
„Frag Mallory“, war alles, was er sagte, weil er seine Suche nicht für lange Erklärungen unterbrechen wollte. Er würde nicht aufgeben. Wenn nötig, würde er bis zu seinem letzten Atemzug nach Danika suchen.
„Schaut nach allen Bildern, auf denen Kronos, der König der Titanen, vorkommt, und legt sie raus, damit Reyes sie genauer analysieren kann. Und bevor ihr weiter fragt: Kronos ist groß, hat dichtes silbernes Haar und einen Bart und trägt eine weiße Toga.“
Eines der Porträts stach Reyes besonders ins Auge. Es war eine farbige Darstellung von Engeln und Dämonen, Leben und Tod, Blut und Lächeln. Wie Ginger war auch Reyes überrascht darüber, was Danika in ihren jungen Jahren schon alles gesehen hatte. Überrascht auch darüber, dass sie trotz dieser Bürde so gut gediehen war und sich zu so einer entschlossenen, aber doch weichen und zarten Frau entwickelt hatte.
Er blätterte weiter und stieß kurz darauf gleich auf vier Bilder von Kronos. Sein Puls fing an zu rasen. Auf einem dieser Bilder schritt der Gott in einer Gefängniszelle auf und ab, die mit Rauch gefüllt war und an deren Wänden Flammen hochleckten. Auf einem anderen kämpfte er sich seinen Weg frei, tötete präzise und effizient, mit einer Sense von gewaltiger Überlänge, um möglichst
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