Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
Körperstellen zu markieren. Das wäre nur klug von ihnen. „Tut mir leid, aber wir müssen zur Burg zurück.“
„Gut.“
Aeron war bereits schwer bewaffnet, und allein zu kämpfen machte ihm nichts aus, doch jetzt hatte er Paris bei sich. Paris, dem von den großen Mengen Ambrosia immer noch der Schädel brummte und der eher eine Behinderung wäre als eine Hilfe.
„Warte. Stopp!“ Paris’ Körper verkrampfte sich, und in seinem Tonfall schwangen Ungläubigkeit, Hoffnung und Verwunderung mit.
„Was ist?“
„Ich glaube, ich habe … sie gesehen … Sienna.“ Er sprach ihren Namen wie ein Gebet aus.
„Wie ist das möglich?“ Aeron suchte mit Blicken den Boden ab. Dort waren so viele Gesichter, und er bewegte sich so schnell, dass er sie nicht klar erkennen konnte. Aber wenn Paris Sienna tatsächlich gesehen hatte, wenn sie tatsächlich irgendwie wieder zum Leben erweckt worden war, hieß das, dass die Jäger definitiv hier waren. „Wo?“
„Zurück. Flieg zurück. Sie ist Richtung Süden gelaufen.“ Paris klang so aufgeregt, dass Aeron nicht widerstehen konnte.
Trotz der großen Gefahr wendete er. Er wollte eine Warnung aussprechen – Mach dir nicht zu große Hoffnungen –, brachte es jedoch nicht fertig. Es waren schon merkwürdigere Dinge geschehen.
Auf einmal zuckte Paris zusammen und stöhnte. „Geh in Deckung. Sofort!“
Aeron spürte, wie ihm etwas Warmes, Feuchtes über den Arm lief, mit dem er Paris an der Taille festhielt. Dann durchstachen unzählige Pfeile seine Flügel und zerrissen die Membran. Als Nächstes waren seine Arme und Beine dran. Die Muskeln zerrissen, die Knochen zerbrachen. Als er vor Schmerzen zusammenzuckte, dämmerte es ihm. Die Jäger waren wirklich hier, und sie hatten ihn entdeckt. Auf so eine Gelegenheit hatten sie vermutlich nur gewartet.
Meine Schuld, dachte er. Schon wieder. Und dann fiel er … und fiel … krümmte und drehte sich. Schlug auf dem Boden auf.
Torin lehnte sich in seinem Sessel zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Füße auf den Tisch gelegt. Seit Tagen saß er nun schon hier fest und hatte das Zimmer kaum noch verlassen, um zu essen, zu duschen oder, Teufel noch eins, zu leben. Cameo hatte ihn seit dem Abend ihrer Rückkehr nicht mehr besucht, und vielleicht war es auch besser so. Er konnte sich nicht konzentrieren, wenn sie in seiner Nähe war, und auf seiner Agenda standen mehr Tagesordnungspunkte als je zuvor.
Er sorgte dafür, dass die Krieger genügend Geld hatten, indem er mit Wertpapieren und Anleihen spekulierte. Er überwachte die Umgebung zum Schutz vor Eindringlingen. Er traf sämtliche Reisevorbereitungen. Er recherchierte Anhaltspunkte für den Standort der Büchse der Pandora, der Artefakte oder der Jäger. Er durchforstete sogar Nachrichtenseiten nach Meldungen über die Sichtung eines Mannes mit Flügeln. Alias Galen. Soweit Torin wusste, waren Galen und Aeron die einzigen Krieger, die fliegen konnten.
Torin störte sich nicht an den vielen Aufgaben, weil er schlichtweg die Zeit dafür hatte. Denn er verließ die Burg ja nie. Das Risiko, die gesamte Weltbevölkerung auszulöschen, war viel zu groß. Wie dramatisch, dachte er trocken. Aber wahr. Er brauchte einen anderen nur mit bloßer Haut zu berühren, und schon löste er eine Plage aus. Die letzte hatte er – dank der Jäger – hier in Buda ausgelöst. Aber wenigstens hatten die Ärzte sie eindämmen können, ehe zu viel Schaden angerichtet worden war.
Wie sehr er sich doch danach sehnte, Cameo zu berühren. Dafür hätte er alles gegeben. Er rief sie sich in Erinnerung. Klein, schlank, langes dunkles Haar, traurige graue Augen.
Er ertappte sich dabei, wie er sich wohl zum tausendsten Mal an diesem Tag fragte, ob er sie immer noch wollen würde, wenn er sich die Frauen aussuchen könnte. Ob er sie immer noch wollen würde, wenn er jeden berühren könnte, den er berühren wollte. Wenn er jederzeit in die Stadt gehen könnte. Als Mann würde er sie noch wollen, ja. Sie war hübsch, klug und witzig, wenn man ihre selbstmörderische Stimme ausblenden konnte. Aber was Festes? Er wusste es nicht. Weil … Sein Blick schweifte zu dem linken Monitor.
Gelegentlich erhaschte er einen Blick auf eine schöne Frau, die durch die Stadt ging. Langes schwarzes Haar, exotische Augen, die in einer Sekunde strahlten und in der nächsten glasig wirkten. Sie blieb stehen, lächelte, zog die Augenbrauen hoch und ging dann weiter. Wenn der Wind sie streichelte und
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