Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
ihres gestellt, doch das hatte sie erwartet. Was sie jedoch nicht erwartet hatte, war, dass sie ihn vor Ablauf ihres Ultimatums verlieren sollte. Sie konnte ihn einfach nicht verlieren, trotz allem nicht. „Ich möchte das Opfer immer noch bringen.“
Lysanders Blick füllte sich mit Traurigkeit. „Dann soll es so sein.“
Als das letzte Wort seine Lippen verließ, zogen sich ihre Stimmbänder zusammen. Einen Moment lang konnte sie weder sprechen noch schlucken, noch atmen. Panisch griff sie sich an den Hals. Ihr Kopf war wie vernebelt, als sich Eis und Feuer in ihr Blut mischten.
„Gleich ist es vorbei“, sagte Lysander, der plötzlich vor ihr stand und ihr über die Wange streichelte. Dasselbe hatte er immer getan, wenn sie es nicht geschafft hatte, Freude ins Leben der ihr zugeteilten Menschen zu bringen. Er hatte ihr Trost gespendet. Immer hatte er das Beste für sie gewollt und wollte es offenbar noch. Er war kein schlechter Mann, und sie täte gut daran, das nicht zu vergessen.
Wie er versprochen hatte, begann endlich wieder Sauerstoff durch ihre Kehle in ihre Lungen zu strömen. Das Feuer erlosch, und das Eis verging. Der Nebelschleier zerriss. Dankbar holte sie tief und gierig Luft.
„Hätte Aeron dasselbe für dich getan?“, fragte Lysander. „Nein. Antworte nicht. Denk einfach über alles nach, was ich gesagt habe.“
Sie nickte, unfähig, mehr zu tun.
„Sei vorbereitet, süße Olivia. Es ist sehr gut möglich, dass Aeron wieder so verletzt wird. Ich fürchte, Rhea hat den Jägern Wasser aus den fünf Flüssen des Hades gegeben.“
Olivia zuckte zusammen. Wenn dieses Wasser als Waffe eingesetzt wurde, bedeutete es den sicheren Tod. Ein Schluck, eine Berührung … und auf Nimmerwiedersehen. Die Seele selbst verkümmerte. Die einzige Möglichkeit, das abscheuliche Gift zu bekämpfen, war, aus dem Fluss des Lebens zu trinken. Aus einem Fluss, von dem selbst sie nicht wusste, wo er zu finden war.
„Sie haben spezielle Kugeln gefertigt, und jede dieser Kugeln enthält einen Tropfen des Wassers.“ Er zog ein kleines Fläschchen aus seiner Robe. „Aeron braucht nur einen Tropfen davon, um gesund zu werden. Den Rest würde ich gut verstecken. Für alle Fälle. Aber benutze es wohlüberlegt, denn wenn es aufgebraucht ist, wirst du nicht mehr davon bekommen.“
Der Fluss des Lebens? Mit zittriger Hand ergriff sie das Fläschchen.
„Aber denke nicht, nicht einen Moment lang, dass ihn das hier retten wird, nachdem man ihn enthauptet hat. Und er wird enthauptet werden, Olivia. Sein Henker wird kommen.“
Sie senkte den Blick. Lysander kannte sie gut; ihre Gedanken waren tatsächlich in diese Richtung gegangen. Sei’s drum. Sie schüttelte den Kopf, wodurch sie die Enttäuschung vertrieb und ihre Entschlossenheit erneuerte. Sie würde einfach einen anderen Weg finden.
„Ich dachte, du wolltest seinetwegen den Rat um Gnade ersuchen.“
„Und so soll es auch geschehen. Wir wissen, wie solch ein Bittgesuch ausgehen wird. Er nicht. Bei dir waren sie gnädig, aber du bist schließlich eine von uns. Er ist ein Dämon. Bei ihm wird es keine Gnade geben.“
Wäre es klug, ihm davon zu erzählen?
„Welch große Sorgen du mir machst, Olivia.“ Lysander seufzte. „Ich werde dich jetzt deine Aufgabe erfüllen lassen.“
19. KAPITEL
Gideon, Hüter des Dämons Lüge, warf sich unruhig in seinem Bett hin und her. Die Boxershorts klebten an seiner schweißnassen Haut, und seine bandagierten Hände – oder besser: seine fehlenden Hände – pochten schmerzhaft. Blut war in die Bandagen gesickert, und das war dank seiner langsam, aber stetig voranschreitenden Heilung seit Wochen nicht mehr passiert. Hatte er einen Rückfall?
Obwohl er schlief, war er bei vollem Bewusstsein – was ziemlich seltsam war – und in der dichtesten Dunkelheit gefangen, die er je erlebt hatte. Auch das war seltsam, wenn auch technisch nicht ganz wahr. Zumindest nicht, was seinen Dämon betraf. Denn die Dunkelheit in der Büchse der Pandora war genauso gewesen: drückend und unerträglich. Seit sie dieses merkwürdige Reich betreten hatten, hatte Lüge nicht aufgehört, entsetzt darüber zu heulen. Seine Schreie hatten sich mit denen vermischt, die in dieser Dunkelheit lagen. Abertausende, misstönende, kreischende Schreie, einer gequälter als der andere.
Sich einen Weg nach draußen zu bahnen hatte sich als unmöglich erwiesen.
„Gideon. Gideon, wach auf, Mann. Du sollst nicht schlafen.“
Er hörte Paris’ Stimme
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