Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
besser gewappnet sein.
„Olivia?“, sagte Lysander.
Sie öffnete die Augen einen kleinen Spalt. Und tatsächlich stand ihr Mentor neben ihr. Groß, imposant und eine überwältigende Macht ausstrahlend. Die Bögen seiner goldenen Flügel ragten über seine Schultern, und seine Robe umfloss seine Knöchel.
Was hatte er sie gefragt? Ach ja. Warum tat sie sich das an? „Aeron verdient es nicht, so zu sterben.“
„Viele verdienen nicht den Tod, der ihnen bestimmt ist.“
Sie schmiegte sich wie ein Schutzschild an Aerons Seite – so wie eine anständige Freundin das eben tat. „Du hast eine zweite Chance mit deiner Harpyie bekommen, und ich verdiene eine zweite Chance mit Aeron.“
„Und wenn seine Zeit um ist, wirst du dann eine dritte verlangen?“
Ihm die Antwort zu geben, die er hören wollte, hätte bedeutet zu lügen. „Warum bist du hier, Lysander?“
Einer seiner Wangenmuskeln zuckte. „Ich bin hier, um dir zu sagen, dass dein Gebet erhört wurde. Ich bin hier, um dir zu sagen, dass Aeron geheilt werden wird. Allerdings musst du im Gegenzug ein Opfer bringen. So wollen es unsere Regeln.“
Ein Opfer. Ja, so lief es für gewöhnlich. Seit Anbeginn der Zeit hatte das Selbstopfer, der pure Liebesbeweis, die Kraft besessen, ihre Gottheit zu beeinflussen – und die Welt zu verändern. „Ich bin einverstanden. Tu also, weswegen du hergeschickt wurdest, und dann geh.“
Er rührte sich nicht. „Willst du denn gar nicht wissen, was du verlierst?“
„Nein.“
„Bist du sicher? Ach, egal. Ich werde es dir trotzdem sagen. Du wirst die Stimme der Wahrheit verlieren. Vorbei die Zeiten, in denen andere dir vorbehaltlos glaubten, was du sagst. Vorbei die Zeiten, in denen du niemals Zweifeln begegnet bist. Vorbei die Zeiten, in denen du eine Lüge in der Sekunde entlarven konntest, in der sie ausgesprochen wurde. Und auch wenn du dich entschließt, in den Himmel zurückzukehren und der Engel zu sein, der zu sein du bestimmt bist, wirst du deine Stimme der Wahrheit nicht zurückbekommen. Sie wird für immer von dir gehen.“
Unwillkürlich griff sie sich an die Kehle. Ihre Wahrheit verlieren? Lieber würde sie ihre Hände verlieren, so wie Gideon. Wie sollte sie damit umgehen, wenn Aeron ihr misstraute, wo sie doch tief in ihrem Innern wusste, dass sie die Wahrheit sagte?
Sie sah ihn an. Er war so still und so blass. So düster.
„Überleg es dir wohl“, ermahnte Lysander sie. „Mit jeder Stunde, mit jeder Minute wird der Weg, auf dem du dich befindest, gefährlicher. Und weißt du, was ich am Ende des Weges sehe? Unabhängig davon, welche Richtung du einschlägst? Weißt du, was dort auf dich wartet? Der Tod, Olivia. Dein Tod. Und wofür? Für ein paar Tage mehr mit ihm. Ein paar Tage mehr mit einem Mann, der ein Abkommen mit mir geschlossen hat.“
„W…was für ein Abkommen?“
„Ich habe geschworen, dass ich versuchen werde, den Rat davon zu überzeugen, ihn und seine Dämonenfreundin zu verschonen, falls er es schafft, dich zur Rückkehr in den Himmel zu bewegen.“
Ihr Mund klappte hilflos auf und zu, wie bei einem Goldfisch auf dem Trockenen. Sie war schockiert, ja. Weil Lysander für Aeron bereit war, mit dem Rat zu verhandeln, während er ihr die Bitte, es zu tun, abgeschlagen hatte. Aber vor allem war sie verletzt. Das erklärte so vieles. Lysanders geheimen Besuch bei Aeron. Warum Aeron ihr den letzten Orgasmus verwehrt hatte. Warum er gewollt hatte, dass sie ihn kämpfen sah; dass sie sah, was für ein hartes Leben er führte.
Sie bedeutete ihm nichts. Hätte er sie sonst ohne Weiteres als Verhandlungsgegenstand benutzt? Und trotzdem war er ein Mann, den sie bewunderte. Er war bereit, alles zu tun, um jemanden zu retten, den er liebte. Um Legion zu retten.
Hätte es doch nur sie sein können, die er liebte.
„Wenn ich mit dir zurückkehre, kannst du mir dann garantieren, dass er leben wird?“, krächzte sie.
„Ich kann es versuchen.“ Das hörte sich für sie nicht gerade nach einer Garantie an. „Der Kern dieser Angelegenheit ist, dass er einverstanden war“, fügte Lysander hinzu, ehe sie etwas erwidern konnte. „Er ist bereit, sich von dir zu trennen, um sich selbst zu retten.“
Der Schmerz breitete sich aus, überrollte sie, ließ sie würgen.
„Ändert das etwas an deiner Entscheidung über seine Heilung?“, fragte Lysander leise. Hoffnungsvoll. „Über dieses Opfer?“
„Nein“, antwortete sie, ohne zu zögern. Zwar hatte Aeron Legions Wohlergehen über
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