Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
Moment lang zögern, ihr wehzutun.
Momentan war sie in der Highschool und zweifelsohne glücklich über den Abstand zu den Herren. Sie fühlte sich in ihrer Gegenwart noch immer nicht wohl. Verständlich. Trotz ihrer jungen siebzehn Jahre hatte Gilly das Böse im Menschen bereits kennenlernen müssen und war seit Jahren unabhängig. Sie hatten ihr ein Zimmer in der Burg angeboten, doch Gilly hatte sich eine eigene Wohnung gewünscht. Zum Glück. Denn jetzt brauchte Aeron nicht ziellos bis zum Einbruch der Dunkelheit umherzustreifen; und er konnte endlich Legion herbeirufen.
Er stand in der Mitte des Wohnzimmers. Das Sofa und die Sessel hatte er an die Wand geschoben, um Platz für den Kreis aus Salz und Zucker zu schaffen, den er soeben auf den Boden gestreut hatte. Er würde sie auf eine Weise herbeirufen, die sie nicht ignorieren konnte.
Er breitete die Arme aus und sagte: „Legion, Quinientos Dieciseis der Croise Sombres des Envy und Notpeöhocil“, so wie Legion es ihm beigebracht hatte. Das waren ihr Name, ihre Nummer und ein Titel in einem Kauderwelsch aus verschiedenen Sprachen. Legion, Nummer fünfhundertsechzehn der dunklen Kreuzritter des Neides und der Not. Wenn er nicht alles sagte, könnte er versehentlich jemand anderen herbeirufen. „Ich befehle dir, vor mir zu erscheinen. Jetzt.“
Weder flackerte ein helles Licht auf, wie Cronus es so gern benutzte, wenn er in menschlicher Gestalt erschien, noch blieb die Zeit stehen, sondern die Sache lief völlig unspektakulär ab. In einer Sekunde war Aeron noch alleine, in der nächsten befand sich Legion mit ihm im Kreis. Das war’s.
Keuchend brach sie auf dem Boden zusammen, und auf ihren Schuppen glänzte der Schweiß.
„Legion.“ Er beugte sich zu ihr hinab und nahm sie auf den Arm, wobei er sorgfältig darauf achtete, dass kein Salzoder Zuckerkristall sie berührte. Das würde ihre Haut verbrennen, hatte sie ihm gesagt.
Zorn schnurrte glücklich.
Sogleich schmiegte sich Legion in seine Arme. „Aeron. Mein Aeron.“
Ihr Verhalten erinnerte ihn an Olivia. Die süße, hübsche Olivia, die jetzt bei Kaia war, einer verrückten Harpyie mit einem schrägen Sinn für Humor, und Cameo, einer unbarmherzigen Mörderin mit tragischer Stimme. William und Paris, zwei schamlose Sexsüchtige, würde er gar nicht erst mit in die Gleichung aufnehmen, denn sonst würde er Gillys Wohnung in einem Wutanfall in ein Trümmerfeld verwandeln. Aus Wut, nicht aus Eifersucht, um das noch mal zu betonen … Wenn sie mit dem Engel rummachten, würden sie Lysanders Zorn auf sich ziehen – und allein diese Aussicht war es, die ihn wütend machte. Und nicht etwa der Gedanke daran, dass Olivia sich womöglich zu einem seiner Freunde hingezogen fühlte. Natürlich nicht.
Eigentlich würde Gillys Wand mit ein paar Löchern viel hübscher aussehen, dachte er dann. Er täte dem Mädchen in Wahrheit sogar einen Gefallen, wenn er ihr beim Dekorieren hülfe.
Außerdem ging es Olivia womöglich gar nicht gut. Immerhin war sie äußerst misstrauisch – jedem außer ihm gegenüber. Aber nicht, dass er darauf irgendwie stolz gewesen wäre … Vielleicht verkroch sie sich genau in diesem Moment in irgendeiner Ecke und betete weinend, dass er zurückkommen möge.
Gillys Sofa wäre bestimmt viel bequemer, wenn er es in zwei Hälften zerschmetterte.
Stähle dein Herz, so wie du Paris gegenüber behauptet hast, es tun zu können. Olivias Verfassung spielte keine Rolle. Ihre Tränen spielten keine Rolle. Sie durften es nicht. Im Grunde würden sie ihr am Ende sogar helfen. Sie würden dafür sorgen, dass sie die Burg umso schneller verließ.
Legion war das Wichtigste für ihn. Sie war das Kind, das er sich insgeheim gewünscht, aber nie bekommen hatte. Nicht nur, weil er sich nie an eine Frau gebunden hatte, sondern weil er wusste, wie schwach Babys waren. Vater zu werden, etwas, das er selbst nie gehabt hatte, war ihm nicht die Qual wert gewesen, sein eigenes Kind dahinwelken und sterben zu sehen.
Bei Legion brauchte er sich darum nicht zu sorgen. Sie würde für immer und ewig leben.
„Was ist los, mein Baby?“, fragte er, während er sie zum Sofa trug und sich in die Kissen plumpsen ließ. Bei dem Geruch von Schwefel, der an ihr klebte, seufzte Zorn in einem Anflug von Heimweh auf. Einst hatte sein Dämon den Geruch gehasst. Doch nachdem er das Grauen in der Büchse der Pandora erlebt hatte, erschien ihm die Hölle wie das Paradies.
„Sssie jagten mich.“ Sie rieb ihre Wange
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