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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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die Welt nicht, in der er war. Ja, er blieb an Ort und Stelle, wo er sich zum Schlafen hingelegt hatte, und vielleicht war das, was er sah, gar kein Traum, sondern fantastische Wirklichkeit.
    Der Schattenriss des Bolg verdeckte die Sterne, schwarz und riesig vor dem erlöschenden Feuerschein des Lagers.
    Gorbaz saß stumm und in Gedanken gekehrt, das vorspringende Kinn in die schwere Faust gestützt. Er saß da wie eine Figur aus Stein, ein Mahnmal für das Schicksal seiner Rasse, die an einem Scheideweg stand, vor zwei Pfaden, die beide hinab ins Dunkel führten.
    Wenn die Mächte der Finsternis in diesem Kampf obsiegten, dann würde ihre unbeschränkte Macht die ganze Welt ins Verderben stürzen, und die Bolgs würden herrschen, zusammen mit den Dunkelelben, aber über ein Reich von Sklaven.
    Wenn es aber den freien Völkern gelang, die Macht des Schattenfürsten zu brechen, dann würden die Bolgs im Exil des Westens zu wenig mehr als Tieren herabsinken, der menschlichen Sprache nicht mehr mächtig, nur noch Kampfmaschinen aus Fleisch und Blut, die jedem Befehl willenlos gehorchten.
    Und die Entscheidung darüber lag nicht bei den Hohen und Mächtigen, nicht bei den Trägern der Ringe, so wichtig ihre Aufgabe in diesem Kampf auch sein mochte.
    Sie lag allein bei Gorbaz.
    Der Bolg regte sich. Er richtete sich auf und griff mit seiner rechten Hand in eine der Taschen an seinem Gürtel. Der Gegenstand, den er hervorholte, war winzig in seinen groben Fingern – ein glitzernder Kristall, nein, eine geschliffene Phiole, die eine Flüssigkeit enthielt, welche von innen heraus leuchtete.
    Gorbaz entkorkte das Fläschchen. Der Glanz, der davon ausging, breitete sich aus und erhellte sein Gesicht. Schweißperlen glitzerten auf seiner ledrigen Haut, trotz der Nachtkühle, und Tränen, die ihm über die Wangen liefen.
    » Arzach-khân agh Arraz-khanûm!«
    Er setzte die Phiole an die Lippen und leerte sie in einem einzigen Zug.
    Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Gorbaz krümmte sich zusammen, wie unter einem Schmerz, der ihn von innen her verzehrte. Dann richtete seine massige Gestalt sich wieder auf und wuchs höher und höher, hinauf zu den fernen Wipfeln der Bäume und in den klaren Himmel, bis der Schatten des Großen Bolg die Sterne auslöschte.
    Als Aldo erwachte, war die Sonne noch nicht aufgegangen, doch es lag bereits Licht über dem Tal. Gorbaz war verschwunden; anscheinend war der Bolg schon früh aufgestanden und hatte ihn schlafen lassen. Im Talkessel herrschte hektische Aktivität. Überall wurden Dinge gepackt und Lasten geschnürt, als ginge es auf eine große Wanderung.
    Aldo erinnerte sich an seine Vision aus der vergangenen Nacht. Hatte er das wirklich nur geträumt, oder war er Zeuge einer weltgeschichtlichen Wende geworden, einer Tat, deren Tragweite er als kleiner Ffolksmann nicht einmal begreifen konnte?
    Er schüttelte den Kopf. Er stand auf und bückte sich, um seine Decke aufzunehmen, als sein Blick auf etwas Glitzerndes im Gras fiel. Es sah aus wie ein funkelndes Juwel oder ein kleiner Gegenstand aus geschliffenem Glas. Aldo teilte das Gras, um danach zu greifen, doch da war nichts.
    Seufzend rollte Aldo seine Decke zusammen und trottete in Richtung des Lagers. Der Pavillon war bereits abgebaut, aber es standen noch Bänke und Stühle herum. Eine Frau, die den Kessel auf dem Feuer hütete, sah ihn kommen und schöpfte ihm einen Löffel Brei in ein Holzschüsselchen. Dankbar nahm er es entgegen und ebenso ein Stück Brot, das ihm anstelle eines Löffels zum Essen diente. Der Brei war gesalzen und mit Honig gewürzt, genau das Richtige, um das morgendliche Fasten zu brechen.
    »Was geschieht hier?«, fragte er zwischen zwei Bissen.
    »Wir haben beschlossen, das Lager aufzugeben«, erklärte die Frau. Es war diejenige, die am Tag zuvor Talmond nach Salz und Mehl gefragt hatte. Ihr Haar war mit einem Band im Nacken zusammengebunden, und sie trug ein Kleid aus feiner Wolle. Er hatte sie fast nicht wiedererkannt. »Der Hohe Elbenfürst hat uns angeboten, dass wir im Verborgenen Tal Zuflucht finden können«, fügte sie hinzu. »Die Frauen und jene, die zu alt oder zu jung sind.«
    »Und was ist mit den anderen?«
    Sie zuckte die Schultern. »Da musst du den Fürsten fragen. Talmond, meine ich. Oder den Hohen Elbenfürsten selbst.«
    Aldo sah Arandur ein Stück weiter mit Talmond zusammensitzen. Jetzt, im Morgenlicht, wirkte der Hohe Elbenfürst nicht mehr wie eine überirdische Erscheinung,

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