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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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überwunden war, befand man sich bereits in einer steinigen Öde, wo nur Krüppelkiefern und Heidekraut wuchsen. Der Wind, dessen Macht im Talkessel durch die bewaldeten Hänge gebrochen wurde, drückte einem hier oben sogleich mit eisiger Hand ins Genick. Und von ferne winkten die Gipfel des Hochgebirges, soweit die ziehenden Wolken den Blick darauf freigaben, wie in Gold und Blut getaucht in der Morgenröte.
    Ein Stück weiter voraus sah Aldo Gorbaz entlangstiefeln, und er beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. Unwillkürlich suchte er nach Zeichen in der grobschlächtigen Gestalt des Bolg, die darauf hindeuten mochten, dass sich seit gestern Abend etwas an ihm verändert hatte, aber Gorbaz wirkte ungerührt und erdgebunden wie immer.
    »Und?«, keuchte Aldo, als er ihn erreichte.
    »Und was?« Der Bolg sah ihn mit völligem Unverständnis an.
    »Denkst du immer noch nach?«
    Gorbaz bleckte die Zähne. »Nein«, knurrte er, »ich bin zu einem Ergebnis gekommen.« Dann, nach einer Pause, fügte er hinzu: »Das heißt, wenn man es genau nimmt, denke ich eigentlich immer. Es ist mir noch nie aufgefallen. Und solange ich denke, weiß ich, dass es mich gibt. Man könnte sagen: Ich denke, also bin ich.«
    O nein , dachte Aldo, ein philosophischer Bolg! Das hat mir gerade noch gefehlt.
    » Du gefielst mir besser, als du noch ein einfacher Soldat warst«, meinte er.
    »Ehrlich?« Gorbaz blickte bekümmert.
    »Nein«, versicherte ihm Aldo. »Das war nur ein Scherz.«
    »Ich weiß«, sagte der Bolg und grinste.
    Das Land, durch das sie zogen, war karg und steinig. Granitblöcke, durch die Verwitterung zu Formen geschliffen, die riesigen Sandsäcken glichen, säumten den Weg. Der Pfad war mehr zu erahnen als zu erkennen, und bald verlor er sich ganz. Sie hielten sich, soweit es möglich war, in eine westliche Richtung: eine lang auseinandergezogene Kette von Menschen, durchsetzt mit den farbigen Tupfen der Elben in ihren grünen Gewändern.
    Sie kamen nur langsam voran, und irgendwann mussten sie Halt machen, um die Lasten neu zu verteilen, da die Frauen und die anderen, die nicht mitziehen konnten, nun mit einer Hand voll Elben den Weg zum Verborgenen Tal einschlagen würden. In einer Rinne, wo sie vor dem Wind geschützt waren, legten sie kurz Rast ein. Gilfalas, Burin, Aldo und Gorbaz suchten unwillkürlich die Nähe der anderen Gefährten.
    »Es ist ein wenig gespenstisch hier«, meinte Aldo. »Man kommt sich vor wie eine Fliege, die über eine große Wand marschiert.«
    »Das letzte Mal war es schlimmer«, gab Gilfalas zu bedenken.
    »Das letzte Mal?« Aldo wusste nicht, was er meinte. »Das Zerbrochene Land«, sagte Gilfalas. »Erinnerst du dich nicht.«
    »Aber … das habe ich ganz anders in Erinnerung.« Aldo runzelte die Stirn. »Viel zerklüfteter und unheimlicher … Ich meine, hier auf der Hochebene ist es kalt und einsam, aber, wie soll ich sagen, so ist es halt in den Bergen …«
    »Hier ist das Gestein noch in Ordnung«, erklärte Burin. »Ich spüre es. Es ist so, wie es sein sollte – verwittert zwar, aber das ist nun einmal der Lauf der Dinge. Aber nicht zerfetzt und umgestülpt und zerrissen – wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ich glaube, ich verstehe«, sagte Aldo. »Und dir gefällt es hier?«
    Burin blickte nach oben. »Der Stein ist fest«, sagte er, »und das ist gut. Aber ich wünschte mir etwas weniger Himmel. Gebt mir Mauern um mich her, ein Dach über dem Kopf oder Höhlen und Gänge wie in Zarakthrôr. Dann fühle ich mich wohl.«
    »Noch etwas ist besser«, grollte der Bolg.
    »Und was?«, fragte Aldo interessiert.
    »Keine Krähen.«
    Aldos Blick ging hinauf zum Himmel; bis auf einen Rest von ziehendem Gewölk, das die höchsten Berggipfel umlagerte, war er frei. Dann sah er plötzlich etwas, das ihm vorher, da er immer nur auf seine Füße geachtet hatte, nicht aufgefallen war: Ein Stück weiter östlich markierten steinerne Pfeiler den Beginn einer Straße, aus festen Steinen gemauert, die in Richtung der Berge führte. Er folgte den Windungen, bis sie sich in der Weite des Vorgebirges verloren, und sein Blick schweifte höher hinauf zur Kette der schneebedeckten Gipfel oberhalb eines tief eingeschnittenen Sattels. Das musste der Pass sein, den man den Steig nannte; dorthin führte ihr Weg.
    Unterhalb des Gipfels sah er plötzlich im sonnenbeschienenen Firn ein Licht aufblitzen. Es war so hell, dass er unwillkürlich die Augen schloss.
    »Da, was war das? Habt ihr es auch

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