Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
Vom Netzwerk:
Ungeheuer steckte seinen unförmigen Kopf hinein, bedrängte ihn mit seinem riesigen Wanst, dass er keine Luft mehr bekam. Kim starrte in weit aufgerissene, glotzende Augen, in denen sich ein namenloser Schrecken spiegelte, sei es sein eigener oder der von –
    »Alex!«, kam Aldos Stimme aus dem Dunkel neben ihm. »Alexis, du blödes Vieh! Mach, dass du hier rauskommst!«
    Der Esel stieß ein panisches Wiehern aus. Irgendetwas musste ihn so erschreckt haben, dass er Zuflucht im Innern des Zeltes gesucht hatte. Vielleicht waren es ja wirklich Wölfe, die dort draußen umherstreiften.
    Gemeinsam zerrten sie das Tier ins Freie und banden es an einen Baum an, fest genug, damit es sich nicht wieder losreißen konnte. Über dem Sumpf spielten geisterhafte, flackernde Lichter, bläulichweiß, und ein Knistern lag in der Luft, das einem die Härchen im Nacken und auf den Armen aufstellte. »Ungemütlich, hier draußen«, knurrte Kim. »Gehen wir wieder schlafen.«
    Doch an Schlaf war nicht mehr zu denken. Immer noch gingen ihm die Bilder seines Traumes im Kopf herum.
    Auch Aldo konnte anscheinend keinen Schlaf mehr finden, sondern bewegte sich unruhig auf seinem Lager. »Es tut mir leid wegen Alex«, sagte er schließlich. »Er macht so was normalerweise nicht.«
    »Ist schon gut«, antwortete Kimberon. »Er kann ja nichts dafür.«
    Aber es war nicht gut. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Irgendetwas war anders als sonst, und Kim hatte ein dumpfes, bohrendes Gefühl, dass diese Veränderung, die da stattgefunden hatte, ihm ganz und gar nicht gefiel.

K APITEL II
DIE SCHWARZE LEGION
    Als sie aus dem Zelteingang ins Freie krochen, hatte die ganze Welt sich verändert.
    Nebel lag über dem Land. Kein Morgendunst, der aus den Wiesen steigt und sie in geheimnisvolle Schleier hüllt, bis die aufsteigende Sonne ihn mit ihrer Glut erfüllt und hinwegnimmt. Nein, es war eine dichte, zähe, gestaltlose Masse, fast greifbar in ihrer Substanz, die das Blickfeld auf zwei Dutzend Schritte verengte. Die Bäume am Rand der Lichtung, wo sie das Lager aufgeschlagen hatten, waren zu grotesken Schattengestalten verzerrt, die mit riesigen Fingern in die Dämmerung griffen, und selbst die Sonne, die irgendwo über den fernen Gipfeln des Sichelgebirges hing, war nur ein hellerer Fleck in der allumfassenden Graue.
    Alex, der Esel, stand noch da, wo sie ihn in der Nacht festgebunden hatten. Er hatte sich, wie es schien, seitdem nicht mehr vom Fleck gerührt und blickte sie mit einer missbilligenden Miene an, die genau zu der Stimmung des Wetters passte.
    Kim warf einen prüfenden Blick zum Himmel. »Ich glaube nicht, dass sich der Nebel so schnell lichten wird«, bemerkte er. »Machen wir, dass wir weiterkommen. Ich werde erst dann aufatmen, wenn wir den ersten Vorposten des Imperiums erreichen.«
    Das ganze Unterholz war klamm von Nebel und Morgentau, sodass es selbst Aldo nicht gelingen wollte, das Feuer wieder in Gang zu bringen. So nahmen sie ein kurzes, kaltes Frühstück zu sich und machten sich dann daran, das Zelt abzuschlagen. Nachdem sie die Zeltplanen und -stangen zu einem Bündel verschnürt auf dem Wagen verstaut hatten, spannten sie den Esel wieder ins Geschirr und fuhren los. Selbst Alex schien froh zu sein, von diesem ungastlichen Ort fortzukommen.
    In der vom Nebel gedämpften Stille klang jedes Geräusch, das sie selbst verursachten, doppelt laut: das Klappern der Hufe, das Ächzen des Wagens, das Quietschen der Achsen und das Geräusch der eisenbereiften Räder auf dem Straßenbelag. Selbst wenn Aldo nur einmal mit den Zügeln schnalzte, hallte das Klatschen so scharf wie ein Peitschenschlag.
    Nach wie vor sahen sie nichts als ein Stück Straße voraus und, wenn sie sich umwandten, ein ebenso kurzes Stück hinter ihnen, das vom Nebel verschluckt wurde. Die Hügel der Muren zur Rechten und zur Linken waren eher zu ahnen als zu sehen. Wäre der Wind nicht gewesen, der ihnen wie eine stetige Hand von Westen, vom Meer her, ins Gesicht drückte, bis ihre rechte Seite ganz kalt und gefühllos geworden war, sie hätten glauben können, völlig allein auf der Welt zu sein. Ja, es war, als ob die Welt sich auf einen Umkreis von wenigen Dutzend Schritten beschränkte und sich vor ihnen mit demselben stetigen Tempo neu bildete, wie sie sich hinter ihnen auflöste, während der Weg unter den Rädern des Wagens hinwegrollte.
    Es war schwer, die Zeit zu schätzen, aber es mussten schon Stunden vergangen sein, als der Weg langsam anzusteigen

Weitere Kostenlose Bücher