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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Aber Vater wollte unbedingt einen Kaufherrn aus ihm machen.«
    Langsam verstand Kim. »Das ist schade, wenn Väter nicht einsehen, dass ihre Kinder nicht so sein können wie sie.«
    »Inzwischen hat er es eingesehen. Karlo arbeitet jetzt als Knecht bei einem großen Bauern im Zwickel. Der alte Ohm hat ein Bein im Krieg verloren, darum kann er nicht mehr arbeiten. Außerdem ist er fast taub. So macht es ihm nichts aus, dass Karlo wenig redet. Und arbeiten, das kann Karlo. Vielleicht vermacht Ohm Hinner ihm eines Tages sogar den Hof; wer weiß?«
    Kim lächelte still in sich hinein. »Der alte Ohm Hinner!«
    »Ihr kennt ihn?«
    »Gewiss. Der beste Armbrustschütze der Ffolkswehr. Ein Held vom Haag, wie dein Vater. Und was ist dein Ziel im Leben, mein Junge?«
    Aldo zuckte die Schultern. »Ich kann von allem ein bisschen. Vielleicht werde ich Händler, wie mein Vater. Aber lieber würde ich etwas ganz Neues machen: etwas entdecken, neue Länder erobern, dorthin gehen, wo noch kein Ffolksmann zuvor gewesen ist …«
    Kim trank seinen Tee aus. »Der heilige Vater erhalte dir deine Träume, Junge. Und jetzt zu Bett! Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
    Doch trotz seiner Müdigkeit fand Kim lange keinen Schlaf. Während sein Begleiter schon friedlich und fest schlummerte, lauschte er dem Wind, der an den Zeltplanen zerrte. Irgendwo heulte ein Hund, wie eine verlorene Seele, und Kim erinnerte sich mit Schaudern an die Schattenhunde des dunklen Feindes, die einem die Seele aussaugten, wie die Legende ging. Doch was war in diesem Land Wirklichkeit, was Legende?
    Irgendwann fiel er doch in einen unruhigen Schlaf. Und wieder träumte er, träumte dieselben Bilder wie vordem. Doch diesmal sah er klar:
    Er stieg einen steilen Felshang empor. Um ihn nichts als kahler Stein, schroff und zerschrunden, auf dem nichts wuchs, kein Kraut, keine Blume. Voraus, über ihm, wie von einem Messer abgeschnitten, bog sich der Fels außer Sicht, und darüber dräute ein dunkler, konturloser, wolkenverhangener Himmel. Er kletterte und kletterte, bis ihm die Hände bluteten, doch der Horizont kam nicht näher, so sehr er sich auch abmühte.
    Dann ein anderes Bild. Ein Geschöpf, nackt, zusammengekrümmt, allein in der Dunkelheit. Es sah nichts, hörte nichts, und es besaß keine Worte, um das, was es dachte, in Begriffe zu fassen. Es wusste nicht, wie lange es da schon hockte, weil es nichts gab, an dem sich Zeit hätte messen lassen: keine Sonne, keine Gezeit, kein Licht. Über ihm lasteten Hunderte und Aberhunderte Tonnen Gesteins; ringsum war nichts als Schwärze. Es war das armseligste Geschöpf auf der ganzen weiten Welt. Es wimmerte leise.
    Er fand sich wieder unter dem offenen Himmel in einer dunklen, stinkenden Gasse, umgeben von Unrat. Oben auf einem Balkon öffnete sich eine Tür; Licht fiel auf eine Gestalt: ein Mann. Einer vom großen Volk. Er taumelte, fiel, konnte sich nicht mehr rechtzeitig fangen und platschte in den Schmutz. Mühsam stemmte er sich hoch. Ein blutunterlaufenes Auge stierte betrunken; das andere war von einer schwarzen Klappe bedeckt. Dann gaben die Arme nach, und der große, kräftige Mann fiel erneut vornüber mit dem Gesicht in den Schlamm.
    Und das soll ein Held sein, dachte Kim, bevor die Szene wieder wechselte.
    Er flog. Er flog über eine Landschaft, die fremdartig und irgendwie vertraut zugleich erschien. Nichts lebte hier. Denn dies war die Stein gewordene Finsternis. Wälle türmten sich vor ihm auf, aus zyklopischem Mauerwerk gefugt, unterbrochen von Wehrgängen und Höfen und immer wieder neuen Wällen, zinnenbewehrt, von Fackeln beleuchtet. Höher flog er und höher, doch die Mauern schienen kein Ende zu nehmen; hinter jeder, die er überwand, stieg eine neue, noch höhere auf. Angst packte ihn. Angst vor dem Wesen, das dort auf dem höchsten Turm stehen würde, vor dem feurigen Rad in der Finsternis, vor der Macht, die ihn unweigerlich in ihren Bann zwang.
    Doch dann änderte sich der Traum. Denn als die höchsten Zinnen sich in sein Blickfeld schoben, sah er dort nicht eine Gestalt, sondern zwei, die miteinander kämpften, Licht gegen Finsternis, und das Schwert der Finsternis zuckte empor, und das Licht flackerte auf und erlosch.
    Da wusste er, dass der Traum keine Einbildung, sondern Wirklichkeit war …
    Und wieder erwachte er schreiend und schweißgebadet.
    Wind peitschte ihm ins Gesicht. Die Zeltplane musste sich losgerissen haben – nein, jemand hatte sie von außen geöffnet. Ein

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