Die Herren der Zeit
abschätzig, als wollte er sagen: Du, ein König? Dann ging der Blick weiter den Hügel hinab, wo sich ein seltsamer Zug den Berg hinaufquälte: Männer, Frauen und Kinder, dazwischen ein Wagen, und um den Wagen eine Gruppe von Bolgs.
»Ich habe sie aus der Knechtschaft befreit«, erklärte Fabian. »Aber jetzt brauchen sie Rast und ein Nachtlager. Es gibt hier eine alte Wegstation der Zwerge, wie ich weiß. Ihr müsst …«
»Wir müssen? «, fiel ihm der Anführer der Zwerge ins Wort. Die anderen der Wache schlossen rechts und links von ihm ihre Reihen. »Mit welchem Recht verlangst du etwas von den Zwergen, Mensch?«
Fabian richtete sich auf. Der Ring an seinem Finger glänzte mit einem blauen Schein. »Mit der Macht dieses Ringes …«, begann er, aber Kimberon, der zu ihm aufgeschlossen hatte, unterbrach ihn: »Nein, Fabian, davon wissen sie hier nichts.« Und an den Zwerg gewandt, fuhr er fort: »Uns schickt euer Herr, der Meister der Untererde, und seine Meisterin. Wir sind aus den Tiefen der Zeit gekommen, um den Kampf gegen die finstere Macht, den Schattenfürsten, in die Wege zu leiten, der dieses Land unterjocht.«
So wie sie da standen, hohlwangig und mit Schatten unter den Augen, doch unbeirrten Blickes, sahen sie wirklich aus wie Wesen aus einer anderen Zeit.
Einer der Zwerge murrte: »Die und kämpfen? Sie haben ja nicht einmal Waffen.«
Aber der Anführer sagte: »Das sind Dinge, die wir nicht zu entscheiden haben. Bringen wir sie vor unseren Meister. Bringt sie alle nach Karazkhôm.«
So warteten sie, bis der Zug der Menschen die Höhe des Brückenkopfes erreichte. Es war ein langsamer, mühsamer Marsch, denn die meisten waren inzwischen so erschöpft, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Von den Zwergen jedoch ging keiner ihnen entgegen, um zu helfen. Sie standen nur da und warteten ab. Aber zumindest zeigten sie auch keine feindlichen Absichten.
»Es ist nicht mehr weit«, versicherte Fabian den Ersten, die zu ihnen aufschlossen. »Nur noch ein Stück den Berg hinauf. Dort ist eine Hütte und ein großes Vorratslager – und genug Platz zum Schlafen für alle. So ist es doch, nicht wahr?«
Die Zwerge sahen ihn an, als fragten sie sich, woher dieser Fremde ihre Geheimnisse kannte – und was er noch alles wissen mochte.
Die Zwerge bildeten die Vorhut des vereinigten Trupps. Erst als sie ihre Reihen auflösten und sich neu formierten, sah Kim noch jemanden zwischen ihnen hocken. Er riss die Augen auf.
»Gwrgi!«, rief er. »Wie kommst du denn hierher?«
Der Sumpfling sah ihn an, als habe er ihn noch nie zuvor gesehen. Dann verzog sich sein breiter Mund zu einem scheuen Grinsen. Zögerlich hielt er Kim die Hand entgegen, die Finger halb gespreizt, dass man die Schwimmhäute dazwischen sehen konnte.
»Freund?«, sagte er fragend. »Freund von Gwrgi?«
Kim blieb der Mund offen stehen. Dann sagte er, an Ithúriël gewandt: »War er schon immer so? Seit … seit Ihr ihn kennt, meine ich …«
»Nein«, antwortete sie. »Erst seit wir durch das Tor gegangen sind.«
»Welches Tor?« Kim runzelte die Stirn.
»Das Tor unterhalb des Berggipfels, durch das wir kamen. Aber das ist eine lange Geschichte …«
»Ihr könnt sie uns auf dem Weg zur Zwergenbinge erzählen«, meinte Fabian, der hinzugetreten war. »Es ist noch ein gutes Stück«, fügte er leise hinzu. »Aber sagt es den anderen nicht, sonst werden sie es nicht schaffen.«
Er wandte sich Gwrgi zu, der immer noch mit ausgestreckter Hand da hockte und ratlos von einem zum anderen sah. Ein Anflug von Furcht schien ihn zu überkommen, und gerade wollte er die Hand wieder zurückziehen. Doch Fabian ging in die Hocke und hielt ihm seine Hand hin.
»Ich bin dein Freund, Gwrgi«, sagte er. »Und Kim hier ist auch dein Freund. Kommst du mit uns?«
Gwrgi schüttelte ihm die Hand. »Ich komme mit«, sagte er.
»He«, meinte Kim, »gerade hat er wieder ›ich‹ gesagt. Es geht aufwärts mit ihm.«
Aufwärts, das war das Stichwort. Der Weg führte weiter den Berg hinan. Zum Glück war er frei von Schnee, obwohl die Passhöhe nicht mehr weit war; man konnte sie von hier aus schon deutlich erkennen. Die Straße war gut befestigt; wie Kim sich erinnerte, war das letzte Mal, als er hier hinaufgewandert war, von einem Weg kaum mehr etwas zu sehen gewesen. Aber das war in einem anderen Leben gewesen, tausend Jahre entfernt von hier.
Am meisten machte ihnen die dünne Luft zu schaffen, die in dieser Höhe das Atmen erschwerte.
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