Die Herren der Zeit
Bergschlucht, über einen schäumenden Bergbach, um jenseits davon wieder anzusteigen, bis sie sich in der Bläue der Entfernung verlor. Auf der anderen Seite wand sie sich in Serpentinen höher ins Gebirge, zu dem fernen Sattel, den man von hier aus bereits erahnen konnte.
»Das muss die Schlucht sein, über die wir damals gekommen sind, oben, über die alte Zwergenbrücke, wo wir das erste Mal mit dem Dunkelelben kämpften und Meister Adrion …« Er unterbrach seinen Redeschwall, als er sah, wie die Umstehenden ihn anstarrten.
Fabian, dessen Hand unwillkürlich zu seinem nicht vorhandenen Schwert gegangen war, lächelte über seinen Eifer. »Jedenfalls wissen wir jetzt wieder, wo wir sind«, meinte er. »Auf dieser Seite führt der Weg hinauf zum Pass. Wir sollten sehen, dass wir heute noch zumindest die alte Wegstation der Zwerge erreichen, die sich unterhalb der Passhöhe befindet.«
»Ob es sie in dieser Zeit bereits gibt?«, fragte Kim.
»Wir werden irgendetwas finden«, antwortete Fabian, »und sei es nur eine Höhle, wo wir nächtigen können.« Mit zusammengekniffenen Augen sah er zu den Serpentinen empor. »Aber bis dahin wird es ein harter Weg werden.«
Es wurde ein sehr harter Weg. Sie konnten den Wagen keinen Augenblick sich selbst überlassen, da die Straße so steil war, dass er sofort wieder rückwärts gerollt wäre. Immer mussten mehrere Mann ihn absichern. In den Kehren wechselte die Spur so abrupt die Richtung, dass sie den Wagen geradezu hinüberheben mussten. Wären die Bolgmänner nicht gewesen, sie hätten es nie geschafft.
Auf halbem Wege waren sie so erschöpft, dass sie die Räder mit Steinen verkeilten, um wenigstens einmal Luft holen zu können. Aber sie wagten es nicht, allzu lange Rast zu machen, um nicht das Unheil heraufzubeschwören. Auch wenn es nach wie vor still war, sah man doch von hier oben aus weit ins Land, und mit jedem Augenblick wuchs die Gefahr der Entdeckung. Es blieb jedoch still. Fast war es, als ob die dunkle Macht im Norden schliefe, doch wer vermochte zu sagen, wann sie wieder erwachen und ihre Hände nach ihnen ausstrecken würde.
Als sie das Hochplateau erreichten, waren sie alle mit ihren Kräften am Ende, sowohl die Männer, die abwechselnd den Karren gezogen oder geschoben hatten, als auch die anderen, die nur die Last des Proviants getragen, und selbst diejenigen, die allein sich selbst mit müden Beinen die Steigung hinaufgeschleppt hatten. Sogar die Bolgs zeigten Anzeichen von Erschöpfung und ließen sich, kaum dass sie oben angelangt waren, auf den steinigen Boden fallen.
»Was jetzt, Herr?«, fragte einer von ihnen, an Fabian gewandt, und ein anderer fügte die unvermeidliche Frage hinzu. »Ist es noch weit?«
»Kim«, sagte Fabian, »deine Augen sind schärfer als meine. Was siehst du?«
In der Helle des Tages ging der Blick zwar weit, doch das gleißende Licht machte es schwer, Einzelheiten zu erkennen. »Ich sehe die Brücke!«, rief Kim aus. »Dort drüben führt sie über die Schlucht! Siehst du die Pfeiler auf beiden Seiten? Sie scheint unzerstört zu sein. Und«, seine Augen verengten sich, »es kommt jemand herüber.«
»Ich sehe es auch«, sagte Fabian. »Aber ich kann nicht erkennen, wer es ist. Ich sehe das Blinken von Waffen und Rüstungen. Sind es Bolgs oder Dunkelelben?« Er wandte sich um. »Macht euch bereit! Vielleicht werden wir kämpfen müssen.«
Ringsum rafften sich die Männer stöhnend wieder auf und griffen nach ihren Waffen.
»Das sind keine Bolgs«, sagte Kim, »und auch keine Elben.« Er war sich jetzt ganz sicher. »Es sind Zwerge, und es ist jemand bei ihnen – ob als Freund oder Gefangener, kann ich nicht sagen. Komm, wir gehen ihnen entgegen.«
Es gibt keine Liebe zwischen Elben und Zwergen. So viel war von Anfang an klar. Die Elben lieben das Wachsende, das Werdende; für sie ist das, was blüht, viel wertvoller als selbst das kostbarste Juwel. Denn ein Stein, so sagen sie, ist tot; er hat das Leben schon hinter sich. Die Zwerge sehen das anders. Für sie hat nur Wert, was Bestand hat, was von Dauer ist, eingefangen in unzerstörbarem Kristall, in Stahl und Gold und Stein. Und darum gibt es zwischen Zwergen und Elben einen ewigen Zwist.
Dennoch behandelten sie Ithúriël mit Respekt. Sie begleiteten die schlanke Elbenmaid, die sie um Haupteslänge überragte, wie eine Ehrengarde, die eine Königin eskortiert. Es sah aus, als hätte es nur eines Fingerzeigs ihrer schmalen, weißen Hand bedurft, und die
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