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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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sich die Handgelenke und entblößte seine gelben Zähne, als wollte er ›Danke‹ sagen, aber dieses Wort schien in seinem Wortschatz nicht enthalten zu sein. Dann öffnete und schloss er die geschwollenen Finger.
    Kim trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Der Bolg blickte zu der Gewölbedecke auf, die sich nur eine Handbreit über seinem Kopf befand. Dann schob er sich geduckt auf das kleine, vergitterte Fenster zu. Seine großen Hände packten einen der Eisenstäbe. Muskeln und Sehnen an seinen Armen und Schultern traten wie dicke Stränge hervor, als der Bolg sich dagegen stemmte. Der Eisenstab ruckte, hielt aber.
    »Messer!«, sagte der Bolg.
    »Gib ihm bloß nicht das Messer!«, zischte Kim, aber es war schon zu spät. Aldo hatte es ihm vertrauensvoll in die Hand gelegt.
    »Nur nicht kaputtmachen!«, meinte er, mit einem Seitenblick zu Kim.
    Der Bolg stocherte mit dem Messer in der Fuge, wo die Eisenstange in der Mauer verankert war. Rost und Mörtel rieselten heraus. Dann packte er erneut den Stab, spannte die Muskeln, und mit einem Ächzen brach das Eisen frei und polterte zu Boden.
    Alle lauschten gebannt, auch der Bolg, doch niemand schien den Lärm gehört zu haben. Kim nahm den Eisenstab vom Boden auf. Er war mehr als daumendick. Kims Respekt vor der Kraft dieses Wesens wuchs.
    Mit etwas mehr Vorsicht machte sich der Bolg daran, die vier restlichen Gitterstäbe zu lösen. Kim staunte, mit welcher Umsicht er dabei zu Werke ging. Nur für die Feinarbeit waren seine groben Hände nicht geschaffen, und er musste oft den Griff wechseln, bis er alle Stangen bis auf eine entfernt hatte.
    Es war der Letzte der drei vertikalen Stäbe. Für die Ffolksleute hätte die Öffnung schon ausgereicht. Aber die massive Gestalt des Bolg passte, wenn überhaupt, nur durch das Fenster, wenn es völlig frei war.
    Die letzte Stange leistete unerwarteten Widerstand. Immer wieder entglitt das Messer den Fingern des Bolg, als dieser sich bemühte, das Ende in der Fuge zu lösen.
    »Gib mir das Messer«, sagte Aldo. »Ich kann das besser als du.« Der Bolg zögerte nur unmerklich, ehe er ihm das Schnappmesser reichte, mit dem Griff zuerst.
    Aldo machte sich daran, die letzte Gitterstange freizubekommen. Mit dem Oberkörper halb schon im Freien, versuchte er, den Mörtel auf der Außenseite loszukratzen, als seine feinen Ohren Schritte hörten.
    »Psst!«, zischte er.
    Eine Patrouille oben auf der Mauer. Der Tritt ihrer genagelten Stiefel hallte in dem kahlen Hof. Wenn der Mann – oder Bolg, wer es auch war – nur einen Blick zu dem Kerkerfenster hinabwarf, musste er Aldo einfach sehen.
    Eine Wolke verhüllte den Mond, und Schatten legte sich über die Kelleröffnung.
    Atemlos warteten sie, bis die Schritte verklangen. Sofort machte sich Aldo wieder an die Arbeit.
    »Besser geht’s nicht!«, verkündete er schließlich. »Versuchs!«
    Der Bolg packte die Stange und zog. Doch der Stab rutschte aus seinen aufgeschürften und vom eigenen Blut glitschigen Händen.
    »Verdammt!«, sagte Kim. »Wir brauchen was, um es drumzuwickeln.« Er zog sich den Verband vom Kopf. Seine Wunde war inzwischen bereits verschorft, auch wenn sie noch leise pochte. »Hier, nimm das.«
    Der Bolg nahm das Tuch und umwickelte die Stange damit. Dann lehnte er sich dagegen und drückte.
    Seine Lippen verzerrten sich zu einem Grinsen der Anstrengung. Weiß traten die Augen aus den Höhlen hervor. Ein unterdrücktes Stöhnen entrang sich ihm.
    Fingerbreit um Fingerbreit gab der Stab nach. Stein knirschte gegen Eisen. Die Muskeln des Bolg begannen zu zittern.
    »Das reicht«, meinte Aldo von draußen. »Es muss reichen.«
    Zu seinem Staunen sah Kim, dass der Bolg den dicken Eisenstab zu einem stumpfen Winkel verbogen hatte. Aldo und er brauchten ihn nur noch ein paar Mal hin und her zu drehen, ehe er sich von selbst löste.
    »Und jetzt raus«, sagte Kim und schwang sich durch die niedrige Öffnung. Der Bolg stand einen Moment allein drunten in der Dunkelheit. Dann bückte er sich, hob etwas vom Boden auf und machte sich daran, den Ffolksleuten nachzuklettern.
    Auf halbem Wege überkam ihn ein Zittern. Sein von alten Narben und frischen Wunden gezeichneter Rücken schabte gegen den gerundeten Sturz der Öffnung, und man konnte förmlich sehen, wie eine Welle von Schmerz ihn überlief. Der Blick in seinen Augen war glasig, gezeichnet von einer abgrundtiefen Verzweiflung, gepaart mit Hoffnungslosigkeit. Wenn er ein Mensch gewesen wäre, heißt das. Als ob

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