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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Kim mit der Hand darüber strich, erwies sich, dass sie unter dem Rost noch einen festen Kern besaßen.
    Er setzte die Feile an. Ihr Kreischen war unnatürlich laut in der Stille, die sie umgab. Blankes Eisen schimmerte ihm entgegen.
    »Wir werden Stunden brauchen, bis wir da durch sind«, seufzte er. »Und bis dahin hat man uns längst erwischt.«
    Etwas Großes, Unförmiges bewegte sich im Hintergrund des Gewölbes.
    Kim und Aldo erstarrten in der Bewegung. Keiner von ihnen sagte etwas. Doch jeder wusste, was der andere dachte: Ein Tier! Ein Ungeheuer! Sie haben uns mit einem Ungeheuer zusammen in den Kerker gesperrt, und gleich wird es herauskommen und uns töten!
    Das Wesen in der Dunkelheit stieß ein Schnaufen aus, wie ein großer Hund, der sich auf die Seite wälzt. Ketten klirrten. Die Gestalt in der Finsternis wandte sich um. Mondlicht fiel auf ein breitflächiges Gesicht, ledrig und vernarbt, ein Gesicht mit vorstehendem Unterkiefer und ausdruckslosen schwarzen Augen. Ein Speichelfaden troff ihm aus dem Mund.
    Ein Bolg.
    »Wir müssen hier raus!«, sagte Kim. Wie wild begann er zu feilen. Die Feile schnappte und brach. Er rüttelte an dem Gitterstab. Der Stab bewegte sich, vielleicht um die Breite einer Messerklinge, aber es half nichts. Verzweifelt sah Kim sich um. Gab es denn keinen anderen Ausweg?
    »Ich … helfen«, sagte der Bolg. »Ich … mit.«
    Wenn ihn ein Stein in der Mauer angesprochen hätte oder der Eisenstab in seiner Hand, Kim hätte nicht entgeisterter blicken können. Das konnte nicht sein. Das war unmöglich! Bolgs können nicht sprechen. In den düstersten aller Legenden, wo von den schrecklichsten Gräueltaten erzählt wurde, die Bolgs je vollbracht hatten, war doch nie einem von ihnen ein menschlicher Laut über die Lippen gekommen. Grunzen und fauchen, brüllen und schreien, schmatzen vielleicht, wenn sie ihre Opfer zerfleischten – dies alles war möglich. Aber sprechen, nein.
    Der Bolg richtete sich langsam auf, vorsichtig, als wolle er sie nicht erschrecken. Er zuckte zusammen, als er sich aufrichtete, und die Ketten rasselten erneut. Kim, dessen Augen sich an die Dunkelheit zu gewöhnen begannen, sah, dass er eine Art Tunika trug, wie die Legionäre des Kaisers, doch zerfetzt und zerrissen.
    »Morgen …«, sagte der Bolg, »Menschen … mich töten.« Er hob die Hand und strich mit dem Finger über die Kehle, immer noch langsam und vorsichtig, als habe er Angst, eine unbedachte Bewegung könnte sie verscheuchen. »Bitte … helft!«
    Aldo machte unwillkürlich einen Schritt auf den Gefangenen zu, aber Kim packte ihn am Arm. »Er ist ein Bolg!«, sagte er, überflüssigerweise. »Komm ihm nicht zu nahe. Ich habe gesehen, was sie anrichten können, damals, in der Schlacht am Haag. Ein Schlag von ihm, und du bist Geschichte.«
    Aldo runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, dass er uns viel anhaben kann. Schaut doch, er ist angekettet. Und anscheinend hat man ihn übel zugerichtet.«
    Da sah Kim, dass die Schultern des Bolg von Peitschenhieben gezeichnet waren, die aufgebrochen waren und nun erneut zu bluten begannen. »Du meinst …?« Er erinnerte sich plötzlich an die abgeschlagenen und aufgespießten Köpfe am Tor der Festung. Zwei davon waren noch ganz frisch und blutig gewesen.
    »Selbst wenn er zu ihnen gehört«, fuhr Aldo fort, ohne genauer zu erklären, wen er mit ›ihnen‹ meinte, »so hat er sich offensichtlich bei ihnen unbeliebt gemacht. Und der Feind meiner Feinde …«
    »… ist mein Verbündeter«, vollendete Kim. »Also sprach schon Erlicus Tvernensis, der legendäre Stratege. Aber … ein Bolg?«
    Der Bolg streckte ihnen wortlos die Arme mit den eisernen Schellen entgegen, an denen Ketten mit daumendicken Gliedern baumelten. Aldo hielt ebenso stumm die Hand auf, und Kim legte das Schnappmesser mit der abgebrochenen Feile hinein.
    »Du bist sicher, du weißt, was du da tust?«, fragte er, als Aldo sich mit dem Korkenzieher an den Schlössern zu schaffen machte.
    »Nein«, sagte Aldo. »Aber haben wir eine andere Chance?«
    Die Schlösser der Handschellen waren genauso verrostet wie alles andere Eisen, das länger in dieser dumpfen Feuchtigkeit gelegen hatte. Kim zählte die Schläge nicht, die sein Herz tat, bis das erste Schloss nachgab, aber es mussten an die hundert gewesen sein. Das zweite zu öffnen dauerte noch länger, und Aldo war fast so weit, seinen improvisierten Dietrich fluchend beiseitezuwerfen, als es urplötzlich aufschnappte.
    Der Bolg rieb

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