Die Herren der Zeit
Cohorte, zweiter Manipel.«
Aldo sah, wie der massige Bolg zitterte, nicht vor Furcht, sondern erfüllt von einer ununterdrückbaren inneren Erregung. Da begriff er: Es war die Einheit, in der ihr Freund selber gedient hatte.
Ihr Freund? Jetzt würde es sich erweisen, ob er wirklich einer war. Er brauchte nur aufzustehen, um sich seinen alten Kameraden zu zeigen, und alles wäre vorbei. Vielleicht würde man ihn sogar befördern, wenn er den König und die Prinzessin der Waldelben und den Erben des Zwergenreiches von Inziladûn ans Messer lieferte.
Und dennoch zweifelte Aldo keinen Augenblick an Gorbaz’ Loyalität.
In diesem Augenblick entdeckte der Anführer des Trupps den Esel.
Verblüfft hielt er inne. Die Bolgs kamen stolpernd zu einem Halt. Wie ein Mann starrten sie Alexis an.
Der starrte zurück. Er hatte geglaubt, dass es nichts Schlimmeres geben könnte, als sich in das unwegsame Gelände zu begeben. Jetzt sah er, dass er sich in einem fatalen Irrtum befand.
Wie aus einem Munde kam es von den Bolgs des Manipels: »Fleisch!«
Alexis erinnerte sich, wie er, im Hinterhof der schwarzen Festung angebunden, darauf gewartet hatte, zur Schlachtbank geführt zu werden. Der Gedanke riss ihn aus seiner Erstarrung. Mit einem schrillen Blöken bäumte er sich auf und floh.
Zwei, drei Bolgs lösten sich aus der Gruppe, um die Verfolgung aufzunehmen. Einer von ihnen hob einen Speer, um ihn dem flüchtenden Esel nachzuwerfen.
Gilfalas’ Hand ging zu dem Griff seines Schwertes. Burin hatte bereits seine Axt von der Hülle befreit. Ithúriël, die in ihrer beengten Lage Pfeil und Bogen nicht einsetzen konnte, hielt einen Dolch in der Hand. Aldo sah, wie auch Gorbaz neben ihm nach einer Waffe tastete. Aber der Bolg besaß keine; selbst die Eisenstange, die er aus dem Kerker mitgeschleppt hatte, war im Verborgenen Tal verblieben. Der Bolg ballte die mächtigen Hände zu Fäusten.
Ein scharfer Befehl, und die Verfolger hielten. Missmutig stapften sie zu der Kolonne zurück. Der Centurio bedachte sie mit ein paar gebellten Zurechtweisungen, dann setzte sich der Trupp wieder in Bewegung.
Die Gefährten warteten regungslos, bis auch der Letzte der Schwarzmäntel hinter der nächsten Biegung des Tales verschwunden waren. Erst dann wagten sie sich wieder aus ihrem Versteck hervor.
Der Esel war nirgendwo zu sehen.
»Gehen wir suchen?«, fragte Gorbaz. Der Bolg zitterte immer noch, wenn auch kaum merklich.
Aldo schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das hat keinen Zweck. Wenn er nicht selbst zurückkommt …« Aber er schätzte die Wahrscheinlichkeit nicht hoch ein. So wie das Tier in Panik davongehetzt war, würde es erst wieder zum Stehen kommen, wenn es nicht mehr weiter konnte. Und ob es dann den Weg zurück fand, das war mehr als fraglich. Außerdem hatten sie keine Zeit, so lange zu warten.
»Wir hätten ihn ohnehin nicht dorthin mitnehmen können, wohin wir gehen«, sagte Gilfalas. »Selbst mich erfüllt der Gedanke an die Unterwelt von Zarakthrôr mit Schrecken. Lang und eng sind die Stollen und tief die Schächte, und in den vielsäuligen Hallen herrscht ein ewiges Dämmerlicht. Das hätte das kleine Herz des Esels niemals ertragen.«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, gab Aldo zu. »So hat er vielleicht noch eine Chance – wenn er keinen anderen Bolgs in die Arme läuft.«
Noch während er die Worte aussprach, kam ihm das Bild aus seinem Traum wieder in den Sinn, die Begegnung im Nebel. Deutlich sah er vor seinem inneren Auge den abgerissenen Strick um den Hals des Esels. Hatte er dies alles vorhergesehen? Würden er und Alexis am Ende doch noch zusammenfinden?
Burin war dem Wortwechsel nicht gefolgt. Er drehte den Kopf hin und her, wie ein Hund, der Witterung aufnimmt. »Dann glaubst du jetzt doch, dass wir Zarakthrôr finden?«, fragte er Gilfalas, nicht ohne eine gewisse Schärfe.
Gilfalas lächelte. »Ich weiß jetzt, wo wir sind. Schau!«
Der Graben, in dem sie Zuflucht gesucht hatten, war das ausgetrocknete Bett eines Baches, Ausfluss eines kleinen Sees, der jetzt, vor der Schneeschmelze, nicht mehr als ein Tümpel war. Eis umringte seine Ufer. Die Seelilien, die hier einst geblüht hatten, waren von des Winters Kälte verdorrt.
»Hier war es, wo ich zu mir kam und mich in Ithiaz Kelden wähnte, den Wassern des Erwachens. Hier oder an einem Ort, der diesem sehr ähnlich ist.«
Er sprach, als wolle er im nächsten Augenblick in ein Lied ausbrechen. Aber Burin hatte sich schon an ihm
Weitere Kostenlose Bücher