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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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in sechseckigen Platten, die ineinandergriffen wie ein riesiges Wabenmuster. Sie befanden sich in einer großen, gemauerten Halle. Die Wandpfeiler, welche die Mauer zur Rechten und zur Linken unterteilten, waren zwar aus Steinen gefügt, aber sie wanden sich wie gewachsene Geschöpfe, Schlangen gleich. In dem flackernden, bläulichen Licht, das den Raum erfüllte, schienen sie zu leben.
    Nein, sagte sich Kim selbst, das ist keine Zwergenarchitektur. Er erinnerte sich an den Wasserspeier des Collegium Arcanum, der ihn plötzlich aus seinem blinden Auge angeblickt hatte. So baute nur ein einziges Volk in den Mittelreichen, nach den Gesetzmäßigkeiten der Natur, aber zu eigenen Zwecken verfremdet und verdreht.
    Dunkelelben.
    Mühsam rollte er sich herum. Vor ihm erhob sich eine Art Pfeilerwand, die den Großteil des Lichtes wegnahm, wie die Retabel eines Altars, und davor konnte er die Umrisse eines runden Podiums erkennen. Der Wirbel, der sie mitgerissen hatte, hatte sie in diesen toten Winkel geschleudert, in die Schattenzone, wo keiner sie sah. Um den Rand des Podests knisterte und spielte das bläuliche Licht, das er bereits bemerkt hatte. Es erinnerte ihn an die geisterhaften Lichter, die er über dem Sumpfland gesehen hatte, und an die Spannung, die in der Luft lag, ehe das Gewitter hereinbrach. Im Raum hing ein Geruch wie von feuchter Wolle, ein säuerlicher Geschmack, der auf der Zunge kitzelte.
    Auf dem Podium stand zusammengekrümmt eine schwarze Gestalt. Sie wandte den Beobachtern den Rücken zu, sodass sie ihr Gesicht nicht erkennen konnten, doch die lange dunkle Robe und das glatte schwarze Haar waren unverkennbar: Es war der Dunkelelbe, den sie in der Krypta der Bibliothek bei seinem Ritual überrascht hatten. Er hatte sie mit sich gerissen, an diesen fremden Ort, wo immer er auch sein mochte.
    Wo … oder wann, erklang es in Kims Bewusstsein. Er hätte nicht sagen können, ob er diesen Gedanken selbst gedacht hatte oder ob er ihm von außen eingegeben worden war.
    Ein Windstoß fuhr durch den Raum, als eine Tür geöffnet wurde. Fabians Hand ging zum Schwertgriff. Kim schüttelte warnend den Kopf, um ihn davon abzuhalten, etwas Unbedachtes zu tun.
    In diesem Augenblick ertönte eine Stimme über das Knistern und Flackern hinweg. Aber sie gehörte nicht zu der Gestalt auf dem Podium, sondern zu einer weiteren Person im Raum, jenseits davon, so dass Kim und Fabian der Blick auf sie durch die Altarwand versperrt wurde.
    »Athàr! Thay nò vessui.«
    Kim hatte sich von Kindheit an für Sprachen interessiert, um die vielen Bücher lesen zu können, die sich im Hause seines Mentors, Magister Adrion, und im Ffolksmuseum befanden. Doch im ersten Augenblick konnte er diese eher gezischten als gesprochenen Worte keinem bekannten Dialekt zuordnen. Dann begriff er: Es war Elbisch, aber von einer Art, wie er sie nie zuvor gehört hatte – eine seltsam verzerrte Form der melodiösen Sprache der Eloai.
    ›Vater! Seid willkommen!‹
    ›Sohn.‹ Die verkrümmte Gestalt auf dem Podium richtete sich auf. Ein Bündel Papiere, die der Dunkelelbe unter dem Arm getragen hatte, flatterte zu Boden. ›Es war ein zu langer Weg. Die Kraft reichte – um ein Weniges.‹
    ›Ihr habt bekommen, was Ihr suchtet, Vater?‹ Die Stimme klang eifrig, fast gierig.
    ›Ja. Und ich habe ihn gesehen, Sohn. Den Mann mit dem Schwert. Er ist gefangen in der Zeit. Jetzt musst Du Deinen Teil leisten, damit er nie geboren wird.‹
    ›Und der Ringträger? Was ist mit ihm?‹
    ›Ich werde ihn rufen, wenn die Zeit gekommen ist. So wie es geschehen ist, wird es geschehen.‹
    Das Rascheln von Papier war zu hören, dann das Tappen von Schritten, die sich entfernten. Das blaue Leuchten erlosch, und Dunkelheit erfüllte den Raum, gemildert nur von einem fahlen Schein, der durch hohe, spitzbogige Fensterschlitze von draußen hereindrang.
    Kim und Fabian warteten noch eine Weile, ehe sie sich trauten, ihr Versteck zu verlassen. Kim setzte sich ächzend auf den Rand des Podiums. Fabian rieb sich die Arme und Beine; auch ihm hatte die wilde Fahrt zugesetzt, wenn auch nicht so schlimm wie Kim.
    »Hast du verstanden, was sie gesagt haben?«, fragte er. »Es klang wie Elbisch, aber ich habe kaum ein Wort mitbekommen.«
    »Es ist eine Form der Sprache«, sagte Kim, »wie sie seit tausend Jahren nicht mehr gesprochen wurde. Jedenfalls in den Mittelreichen, wie ich sie kenne«, fügte er hinzu. »Ich habe es zwar verstanden, zumindest zum größten Teil, aber

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