Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
Vom Netzwerk:
unsere eigene Schöpfung«, fügte er hinzu.
    »Ein Gnom«, sagte Gorbaz. Er furchte die Stirn. »Darüber muss ich …«
    »… nachdenken«, vollendete Aldo. Alle starrten ihn an, einschließlich Gorbaz. Aldo zuckte die Achseln und grinste.
    Gilfalas sprach das aus, was alle dachten: »Dann hat hier ein Kampf zwischen Zwergen und Gnomen stattgefunden. Und die Zwerge haben offensichtlich gewonnen.«
    »Nicht offensichtlich«, knurrte Gorbaz.
    Nun war er an der Reihe, von allen angestarrt zu werden.
    »Gnome haben Zwergenwaffen«, stellte er fest. »Also haben Gnome gesiegt; nicht hier, aber woanders. Und wenn Zwerge Sieger sind – wo sind sie dann?«
    Wenn Burins Blicke hätten Blitze schleudern können, dann hätte Gorbaz zumindest einige Verbrennungen zweiten Grades davongetragen. Doch nicht nur Zorn lag in den Augen des Zwerges, Zorn darüber, dass der Bolg offensichtlich an der Überlegenheit der zwergischen Rasse zweifelte, sondern auch Überraschung über die logische Folgerung, zu der Gorbaz fähig war.
    »Er hat nicht ganz Unrecht«, stimmte auch Gilfalas zu. »Vielleicht hat hier wirklich nur ein Scharmützel stattgefunden, und dies sind die Gefallenen der einen Seite. Wer weiß, was mit der anderen geschehen ist?«
    »Das hilft uns jetzt nicht weiter«, knurrte Burin. »Wir können nur eines tun: nachschauen.«
    »Und wohin sollen wir gehen?«, fragte Aldo.
    Außer dem Gang, den sie gekommen waren, gab es zwei Ausgänge aus der Wachstube. Der eine, zur Rechten, war hoch und schmal und stieg leicht an; der andere, zur Linken, breit und eher für die Größe eines Zwergen gemacht. Er führte hinab in eine lichtlose Tiefe.
    »Wohin müssen wir, Burin?«, fragte Gilfalas.
    Burin zeigte auf die glatte Felswand vor ihnen. »Ungefähr dahin.«
    Sie waren an einem toten Punkt angelangt. Wie sie sich auch entscheiden mochten, es konnte ebenso gut falsch oder richtig sein.
    »Ich bin für den rechten Weg«, meinte Gilfalas. »Er führt wenigstens nach oben, ans Licht.
    »Ich bin für links«, grollte Burin. »Wenn wir etwas darüber herausfinden wollen, was sich hier zugetragen hat, dann liegt die Antwort in den Tiefen des Berges.«
    Gorbaz hob die Schultern. »Der ist zu schmal für Bolgs«, meinte er mit einem Wink nach rechts, »und der zu niedrig. Mir ist egal.«
    »Ich kann mich auch nicht entscheiden«, sagte Aldo. »Am liebsten würde ich wieder nach oben gehen, aber vielleicht hat Herr Burin ja recht. Doch mir graut vor dem, was da in der Tiefe wohnt.«
    Aller Augen wandten sich Ithúriël zu, die bislang schweigend im Hintergrund gestanden hatte. Ihre Stimme war klar; sie hatte sich längst schon entschieden.
    »Wir nehmen den linken Weg«, sagte sie. »Denn da ist etwas in der Tiefe, das nach mir ruft.«
    Drip – drip – drip.
    Wasser tropft.
    Wasser ist Nahrung.
    Das weiß es. Es weiß nicht viel, nicht wenn die blinde Leere kommt, die alles aufsaugt. Dann ist es nicht viel mehr als ein Tier, das nur aus Riechen und Schmecken, Fühlen und Hören besteht. Denn zu sehen gibt es nichts in dieser allumfassenden Finsternis.
    Drippedi-drip.
    Hände mit mageren, spinnenhaften Fingern tasten über den Fels. Der Fels ist feucht. Eine Zunge leckt über den Fels, fängt die Tropfen auf, schlürft das rinnende Nass.
    Wasser ist Leben.
    Es weiß nicht, wie lange es hier schon lebt. Es hat keine Vorstellung von Zeit, wenn es sie jemals gehabt hat. Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte, hier, begraben in seinem tiefen Kerker, abgeschnitten von der Außenwelt, hat die Zeit keine Bedeutung. Nach menschlichem Ermessen müsste das Wesen längst tot sein.
    Aber es ist kein Mensch.
    Und es kann nicht sterben.
    Drippedi-drippedi-drippedidrippedi …
    Das Tropfen wird zum Rinnsal, zum Bächlein, von einer verborgenen Quelle gespeist. Wasser fließt, spritzt ins Gesicht, in die Augen. Es brennt. Das Wesen schüttelt den Kopf, um das Brennen loszuwerden, und plötzlich …
    … plötzlich ist die Erinnerung wieder da, die Erinnerung an Sonne auf der Haut, an Blumen und Gras, an Vögel und Schmetterlinge, an den Nebel, der über den Sümpfen liegt, und die blaue, klare Luft über den eisbedeckten Bergen. Die Erinnerung an Wärme und Geborgenheit, an Stimmen, Gespräche, an Freundschaft und Liebe –
    Aus seiner Kehle ringt sich ein Schrei.
    Er steigt von unten auf, aus dem Bauch, und wie das Wasser im Fels, das sich seine Bahn sucht, ist er, einmal in Gang gesetzt, nicht mehr aufzuhalten.
    Der Schrei gellt, laut, schrill,

Weitere Kostenlose Bücher