Die Herren der Zeit
Gestein wechselten sich mit solchen aus Sand und fettem Mergel ab. Dort hatte man den Gang mit Stempeln und Balken gestützt und mit Holzverschalungen ausgekleidet, auf denen Schimmelflecken im grünen Licht wie fahle, gespenstische Blumen erblühten. Doch mit jedem Schritt, den es tiefer in das Innere des Berges hineinging, wurde der Fels fester. Dafür war der Gang hier schmaler, und er zeigte erste Anzeichnen von Verwahrlosung: In den Ecken lag Geröll und Unrat, und in den Deckenwinkeln hatten Spinnen ihre Nester gebaut; einige der Deckenlampen waren blind oder gesprungen; und einmal huschte sogar etwas Kleines, Vierbeiniges über den Gang, aber es war so schnell verschwunden, dass man nicht sehen konnte, was es war.
Das sieht nicht gerade nach einer blühenden Siedlung aus, dachte Aldo bei sich, aber er traute sich nicht, es laut zu sagen. Burins Gesicht schien mit jedem weiteren Schritt, den er tat, finsterer und verschlossener zu werden.
Sie hatten immer noch keinen der Erbauer dieser unterirdischen Hallen gesehen. Es gab keinen Laut, der auf Leben hindeutete, nichts. Bis auf das dumpfe Pochen in der Tiefe, das mehr zu ahnen als zu hören war.
Der Gang öffnete sich zu einer Kammer, einem rechteckigen Raum, dessen Decke wie eine Halbtonne gewölbt war. Burin betätigte einen weiteren Schalter; vereinzelte Lichter flackerten auf, eingelassen in einen verwitterten Fries, der sich unterhalb des Gewölbes um den Raum zog. Darunter gähnten in den Wänden Nischen, ebenfalls aus dem lebenden Gestein gehauen. Niedrige, gemauerte Bänke boten eine Sitzgelegenheit. Aber niemand saß hier.
Eine Wachstube, offensichtlich. Doch wo waren die Wachen?
Gorbaz, der als Letzter kam, ächzte, als er sich aufrichtete. Aldo war es gar nicht aufgefallen, dass der Gang so niedrig geworden war.
»Diese Stollen sind wohl nicht für Bolgs geeignet«, wagte er einen Scherz.
»Gut so«, knurrte Burin. Sein sonst so unverwüstlicher Humor hatte ihn anscheinend verlassen.
Gorbaz schien es nicht zu kümmern. Er ließ sich auf eine der Granitbänke nieder und reckte die Schultern. »Helm«, sagte er und dann noch einmal ganz deutlich und betont: »Ich brauche einen Helm. Wegen dem Kopf.« Er wischte sich mit der Innenfläche seiner großen Hand über die Stirn. Sie war blutverschmiert.
»Hier wirst du keinen Helm auftreiben«, meinte Gilfalas. »Es sei denn, unser Freund Burin findet hier einen versteckten Waffenschrank, den sonst keiner kennt.«
Gorbaz’ lange Arme, die im Sitzen fast den Boden berührten, rumorten in den Schatten hinter der Bank, auf der er saß. Er zog etwas hervor. »Helm!«, sagte er und setzte ihn sich auf.
Es war ein Helm aus geprägtem Leder, mit Stahlreifen gebändert und mit Bergkristallen besetzt, von denen einige herausgebrochen waren. Offensichtlich ein Zwergenhelm; er thronte ein wenig spitz auf Gorbaz’ breitem Schädel, aber als der Bolg die herabhängenden Riemen unter dem Kinn zuband, saß er wie angegossen.
Burin stand nur da und starrte. Endlich fand er die Sprache wieder. »Woher … woher hast du den?«, stotterte er.
Gorbaz zeigte nur mit dem Finger. »Von da.«
Hinter der steinernen Bank, im toten Winkel zwischen ihr und der Wand, lag etwas, das zuerst aussah wie ein Haufen Lumpen und verdorrtes Gezweig. Doch Aldo, dessen Augen sich am schnellsten auf die Lichtverhältnisse eingestellt hatten, erkannte alsbald, dass es dafür viel zu regelmäßige Formen aufwies. Das waren Rippen, und sie waren Teil eines Skeletts, das noch von Fetzen der Kleidung umgeben war, die der Tote einst getragen hatte.
»Ein Zwerg?«, fragte sich Aldo laut, aber in dem Augenblick, als Burin die Antwort gab, erkannte er es auch schon selber.
»Nein«, sagte Burin. »Kein Zwerg.«
Gorbaz wühlte zwischen den Knochen und nahm einen länglichen Gegenstand auf. »Ein Hammer«, sagte er. Er schwang ihn probeweise. »Gut.« Dann, als er feststellte, dass Burin ihn anstarrte, runzelte er die Stirn. »Kein Zwerghammer?«
»Doch«, sagte Burin. »Das ist ein Zwergenhammer. Die Rüstung und die Waffen stammen aus den Schmieden der Zwerge. Aber schau doch selbst.« Und Gorbaz sah: die seltsam verdrehten Knochen, die hohe Stirn mit einem Loch zwischen den Brauenwülsten, als ob dort einmal ein drittes Auge gesessen hätte, die ungleich langen Arme und die viel zu kurzen Beine, die in missgestalten Füßen endeten … »Wir nennen sie Gnome«, fuhr Burin fort. »Sie sind das Verhängnis des Zwergengeschlechts – und
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