Die Herren der Zeit
die darunter hervorblinkte, noch bleicher erscheinen, als es war.
»Aaahhh …«
Sein ausgestoßener Atem hing im Raum, leise wie ein Hauch, doch von jedermann zu vernehmen. Ein Wink genügte.
»Hinaus!«, fauchte Azanthul.
Die Wächter wichen zurück, ohne ihren Blick von ihm und dem Mann auf dem Thron zu wenden. Die Dunkelelben rechts und links des Thrones folgten ihnen wie Schatten. Kein Wort wurde mehr gesprochen. Kein Wort war notwendig.
Hinter ihnen fiel die schwere Tür ins Schloss. Das Holz dämpfte die Schreie der Sterbenden.
Azanthul hielt immer noch den Papierfetzen in der Hand. Er zerknüllte ihn in seiner Faust.
›Sie müssen Euch gefolgt sein, Vater‹, sagte er in der alten Sprache der Dunkelelben, ›durch das Tor der Zeit. Aber wie konnte das geschehen?‹
›Schweig!‹ Azrathoth hob die Hand. Der Ring an seinem Finger blinkte in der Dämmerung. ›Dahinter steckt ein Plan, der mehr als dies umfasst: Raum und Zeit und eine Macht, die hinter den Sternen lauert. Gehl Eile dich! Suche den Mann mit dem Schwert, suche ihn jetzt, und töte ihn. Die Zeit drängt. Flieg auf den Schwingen des Windes …‹
Er hielt inne. Erschöpfung lag in seiner Stimme, als sei er immer noch nicht genesen von den Anstrengungen, die ihn die Reise durch die Zeit gekostet hatte. Aber der Wille in den bleichen Zügen war ungebrochen.
Azanthuls Augen leuchteten auf. Mit einer geschmeidigen Bewegung nahm er das Bündel Papiere auf, das neben dem Thron lag, und rollte es zusammen.
›Ich höre und gehorche.‹
Er wandte sich zum Gehen, doch nicht dem Eingang zu, sondern zu einer Seitenöffnung, halb verborgen in dem Maßwerk, das die Wände überzog. Ein menschliches Auge hätte sie gewiss übersehen: eine hohe, spitzbogige Öffnung, so schmal, dass er sich seitwärts wenden musste, um hindurchzuschlüpfen. Sie führte zu einer Treppe, welche sich im Inneren der Mauer hochzog, schmal, mit schmalen Stufen, nicht für die Füße von Sterblichen gemacht. An ihrem oberen Absatz befand sich eine Tür aus Eisen. Kein Schlüsselloch war darin, doch der Dunkelelbe sprach ein Wort, welches das Gemäuer erbeben ließ, und sie tat sich auf.
Der Raum, im obersten Geschoss des Turmes gelegen, war kreisrund und ringsum mit Eisen beschlagen. In seiner Mitte war ein ebenfalls kreisrundes Becken, von dem ein rotes Glühen ausging, wie von einem Bett aus Kohlen. In der Glut bewegte sich etwas.
›Windreiter‹, flüsterte der Dunkelelbe. ›Sturmsänger. Feuersbrut. Erwache!‹
Das Wesen regte sich. Metallisch glänzende Glieder schoben sich auseinander. Klauen klickten, Schuppen schürften. Flügel entfalteten sich mit einem bronzenen Hall. Ein Kopf schob sich hervor, schmal, tückisch glänzend, wie von Öl, mit der Präzision einer Maschine, doch zugleich einer Anmut, wie sie nur ein lebendes Wesen zustande bringt. Der Drache reckte den langen, geschmeidigen Hals und schrie laut das einzige Wort, das er kannte: »Arzach!«
›Gut‹, lobte ihn der Dunkelelbe, ›aber noch ziehen wir nicht in den Krieg. Heute musst du mich tragen, zu einem fernen Ziel. Steh auf‹
Langsam erhob sich der Drache. Und jetzt konnte man sehen, dass er noch jung war. Jahre, Jahrhunderte vielleicht, würde es noch brauchen, um ihn zu dem zu machen, was sein Zweck war: ein Verhängnis, dem nichts und niemand widerstehen konnte, der den Gesetzen dieser Welt unterworfen war. Doch selbst jetzt, in seinem unfertigen Zustand, war dieses Geschöpf eine tödliche Waffe, unberechenbar, gefährlich.
Azanthul schwang sich auf seinen Rücken.
›Hinauf.‹
Über ihnen öffnete sich das Dach. Zwei schwere eiserne Flügel schoben sich knirschend zur Seite und gaben den dunkler werdenden Himmel frei. Der Drache spannte seine mächtigen Muskeln und schleuderte sich mitsamt seinem Reiter empor zu den aufdämmernden Sternen.
Wind brandete auf, der ewige Wind, der um die Zitadelle der Finsternis fegte. Er zerrte an der Kleidung des Drachenreiters, fing sich in den Schwingen seines Reittieres, die sich mit einem metallenen Singen blähten. Der Drache schlug mit den Flügeln, schraubte sich in einer enger werdenden Spirale höher und höher hinauf.
›Dort!‹
Wie ein Pfeil, von einer mächtigen Schleuder getrieben, rauschte der Drache über die Zinnen hinweg. Drunten duckten sich Bolg- und Menschensklaven, und selbst die Dunkelelben blickten mit einem Anflug von Furcht auf, als der Schatten des Verderbens sie streifte.
Dann lag die letzte, die äußerste Mauer
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