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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Stück abgetragen, wie sich der stete Tropfen durch den Fels frisst, dort ein Körnchen hinwegträgt, hier eine Öffnung schafft.
    Nichts ist ewig. Irgendwann zerbricht jede Fessel, wird jedes Gefängnis gesprengt.
    Der Gefangene hockte bis an die Knöchel im eisigen Wasser. Er zitterte. Er hatte die Schultern zusammengezogen, die Arme schützend vor den Leib geklammert, die Fäuste gegen den Mund gepresst.
    Mit der Veränderung kam die Angst.
    Etwas war anders. Und es war nicht die Veränderung als solche, die ihn frösteln ließ, ihm den Willen raubte, sodass er nackt und hilflos in der Dunkelheit kauerte, unfähig, sich auch nur zu bewegen. Nein, das wäre schlimm genug gewesen, nach so langer Zeit, doch mit dem Wasser war etwas gekommen, das nicht natürlich war. Es stand im Raum wie ein Schatten, eine tiefere Schwärze in der allumfassenden Dunkelheit. Es war nicht eines, es war viele, und es sprach zu ihm.
    Wer//was//warum bist du//bist du hier//unten?
    Die Worte entstanden in seinem Geist, vielfach gebrochen.
    Er versuchte eine Antwort zu formulieren, aber seine Kehle versagte ihm den Dienst. Nur ein trockenes Würgen stieg daraus hervor.
    Doch wenn auch sein Körper ihm den Dienst versagte, seine Gedanken waren frei, waren es immer gewesen.
    Ich bin.
    Ich bin der, der allein ist.
    Ich bin anders als alle anderen.
    Der Schatten wich zurück. Nun schwang Furcht in seiner Aura mit, ein kreatürlicher Schrecken, wie er jedem Wesen widerfährt, das zum ersten Mal dem Anderen entgegentritt.
    Wenn du//bist//allein bist//anders bist//wer//was//warum//bin dann ich//sind wir?
    Nur eine Antwort war möglich:
    Ich bin ich. Du bist du.
    Das Schattenwesen wich zurück. Gewaltsam bahnte es sich seinen Weg in den Fels, und da es nicht nur Schatten war, sondern auch Substanz, knirschte der Fels unter seiner Masse, als es hindurchdrang. Die Wasserader weitete sich, Wasser schoss mit erhöhtem Druck durch die sich öffnenden Lücken.
    Der Andere, der allein in der Dunkelheit hockte, fragte sich, was nun geschehen würde. Er fragte sich tief in seinem Geist, denn sein Körper war nach wie vor gefangen. Das Wasser stieg. Jetzt umspülte es bereits seine Knie. Die Felsen knirschten. Was würde sein, wenn das Gestein nicht nachgab, wenn der kleine, geschlossene Raum sich allmählich mit Wasser füllte. Würde das unsterbliche Ich auch dort überleben, wie ein Fisch in der Kälte treibend, durch Kiemen atmend? Oder würde ihm mit der Luft auch der Atem vergehen, das Blut stocken, das Herz stehen bleiben, das Hirn erkalten?
    Es war eine müßige Frage.
    Die Felsen zitterten unter dem Druck.
    Das Gefängnis brach auf.
    »Hier entlang!«, rief Ithúriël.
    Der Durchgang war kaum mehr als mannshoch und rund, vom Wasser ausgeschliffen, das sich nun immer stärker seinen Weg bahnte. Nass troff es von der Decke; Platten lösten sich aus den unterspülten Wänden, wurden von dem anschwellenden Strom erfasst und trieben als tückische Schollen mit davon. Ein ganzes Wandstück brach los, kam ins Rutschen und verkeilte sich schräg in der Röhre, sodass Ithúriël sich darunter hinwegducken musste. Weiß schäumte das Wasser um den Fuß der Platte.
    »Nicht, Ithúriël!« Gilfalas war fast bei ihr. »Es ist zu gefährlich.«
    Prustend tauchte Burin hinter ihm auf. Hier in den unterirdischen Gängen, wo seine mindere Größe ihm zum Vorteil gereichte, bewegte sich der Zwerg erstaunlich geschickt. Aldo und Gorbaz, die weiter hinten nachkamen, konnten ihm kaum folgen.
    »Was macht sie? Ist sie verrückt geworden?«
    »Ich glaube, sie sucht etwas«, antwortete Gilfalas.
    Ithúriël war schon wieder ein Stück weiter. Der funkelnde Staub folgte jeder ihrer Bewegungen, zog gleich einem Kometenschweif hinter ihr her. In seinem glitzernden Schein fand sie, wonach sie Ausschau gehalten hatte.
    Dort, wo die Röhre eine Biegung machte, hatte das Wasser eine lange, flache Vertiefung ausgewaschen. In dieser Höhlung war ein Loch entstanden. Gurgelnd schoss das Wasser hinein, dem natürlichen Gesetz folgend, dass es immer den tiefsten Punkt anstrebt, der ihm zur Verfügung steht, umso dem Herzen der Schöpfung am nächsten zu sein.
    Ithúriël begann zu graben. Mit bloßen Händen zerrte sie an dem glitschigen Gestein, rüttelte an Felsbrocken, die, vom Lehm umschlossen, unter dem Druck nachgaben und sich lösten.
    »Helft mir!«
    Ihr Bruder kannte sie kaum noch wieder. Ihr Haar war völlig durchnässt und klebte am Kopf; ihr Gesicht und ihre Arme waren

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