Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
diese beiden Dinge. Immer wenn die Politiker kurz davor zu sein schienen, einen Kompromiss auszuhandeln und ihre Differenzen zu vertuschen, kamen die zwei Bankiers – hauptsächlich unter Führung Normans, obwohl Lamont der Sprecher war – wieder auf die Kernsätze zurück. Und immer wieder sagten sie, es handle sich nicht um politische Diktate einer verborgenen Geldmacht, sondern einfach um die elementarsten Bedingungen, die jeder Investor als Sicherheit verlangen müsse, ehe er Deutschland Geld leihen würde.
Premierminister MacDonald, ein Sozialist und ehemaliger Pazifist, der Bankiers und ihren Motiven misstrauisch gegenüberstand, versuchte die beiden mit der Denunziation einzuschüchtern, sie mischten sich in die Politik ein. Owen Young versuchte sie unter Druck zu setzen, ihre Bedingungen aufzuweichen, indem er drohte, Morgan zu übergehen und einen Kredit über Dillon Read zu arrangieren. Alles ohne Erfolg.
Der Leiter der französischen Delegation, Premierminister Herriot, ein gelernter Historiker, der in den Pariser literarischen Salons am rechten Ufer der Seine mehr zu Hause war als in einem Konferenzraum, wo es um finanzielle Details ging, kam radikal unvorbereitet an den Verhandlungstisch und ließ sich bei jeder Gelegenheit austricksen. Als leidenschaftlicher und emotionaler Intellektueller brachte er eine gewisse theatralische Qualität in die Verhandlungen ein, indem er vor lauter Frustration des Öfteren öffentlich in Tränen ausbrach. Er lag ständig im Konflikt mit seinem aus 40 Männern bestehenden Team, einer bunten Truppe aus Kabinettskollegen, sozialistischen Abgeordneten und radikalen Komiteepräsidenten aus der Provinz; einer »schwärmenden, gestikulierenden und lautstarken Horde« von Amateurdiplomaten, die die Lobby der französischen Botschaft in London zu »einer öffentlichen Diskussionsrunde machten, ohne einen Vorsitzenden, der Streit schlichtete und ohne Polizei, die jeden hinauswarf, der sich daneben benahm.« Einmal gerieten Herriot und sein Kriegsminister General Charles Nollet bei einem abendlichen Treffen in einen derart langen und lautstarken Streit in der Downing Street 10, dass MacDonald eine Vertagung anordnete und zu Bett ging. Sogar beim Verlassen des Hauses stritten die beiden Franzosen weiter und warfen sich mitten auf der Downing Street laut schreiend gegenseitig Beleidigungen an den Kopf.
Herriot suchte Lamont in seiner Unterkunft am Audley Square auf und flehte ihn an; er erinnerte ihn an die historischen Verbindungen zwischen Frankreich und dem Haus Morgan, aber Lamont weigerte sich, irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Stattdessen zog Lamont in den nächsten Wochen die Schrauben noch fester an, indem er klarstellte, dass es Morgan sehr schwerfallen würde, die schon zuvor in diesem Jahr arrangierten Kredite weiterzuleiten, falls die Franzosen nicht aufgeschlossen sein würden.
Das erniedrigende Schauspiel, dass angelsächsische Bankiers ihren Politikern Vorschriften machten, führte zu einer zornigen Stimmung in der öffentlichen Meinung Frankreichs. Die Pariser Zeitung Le Petit Bleu erklärte: »Europa soll nicht zu einem riesigen Feld der Ausbeutung werden, das von einer riesigen Bankiersvereinigung beherrscht wird.« Edwin James von der New York Times berichtete, viele Franzosen seien davon überzeugt, dass »es Amerikas einzige Absicht ist, an Europas Unglück noch mehr Geld zu verdienen. Statt Frankreich zu helfen, Reparationen zu erhalten, arbeiten die Amerikaner an Wucherparagraphen für den vorgesehenen Kredit.« In den USA kommentierte eine so angesehene Zeitung wie der Republican aus Springfield: »In den mageren Jahren nach einem erschöpfenden Krieg haben Finanziers einen höheren Rang als Generäle. … Kein Kredit, kein Dawes-Plan. Kein Dawes-Plan, keine Einigung. Keine Einigung, kein Friede in Europa …«
Anfang August hatten die Bankiers gewonnen. Das einzige Zugeständnis, das die Franzosen aushandeln konnten, war ihren Abzug aus dem Ruhrgebiet um ein Jahr zu verschieben. Man lud Deutschland ein, zum Abschluss der Arrangements eine Delegation zu schicken. Angeführt wurde sie von Reichskanzler Marx. Weitere Delegationsmitglieder waren Gustav Stresemann, jetzt Außenminister, Finanzminister Hans Luther, Staatssekretär Schubert und Schacht. Die Deutschen wohnten im Ritz. Die erste Plenarsitzung fand am 5. August statt – das erste formelle Treffen zwischen den Chefs der deutschen und der französischen Regierung seit dem Krieg zwischen
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