Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
ungewöhnliche Reihe fragiler Koalitions- und Minderheitsregierungen gegeben. Auf die Koalition zwischen den Konservativen und den Liberalen Lloyd Georges gleich nach dem Krieg folgte 1922 eine konservative Regierung, geführt zunächst vom todkranken Bonar Law und später von Stanley Baldwin. Im Januar 1924 kam eine Labour-Minderheitsregierung an die Macht, die von Ramsay MacDonald angeführt wurde. Aber im November dieses Jahres führte eine Welle antikommunistischer Gefühle, ausgelöst durch die Veröffentlichung eines gefälschten Briefs, der die Labour-Partei mit der Sowjetunion in Verbindung brachte, zu einem konservativen Erdrutsch. Normans enger Freund Stanley Baldwin kam wieder an die Macht.
Zur allgemeinen Überraschung wurde Winston Churchill zum Finanzminister ernannt, was der zweitwichtigste Posten in der Regierung war.
Niemand war von der Ernennung mehr überrascht als Churchill selbst. Es war ein paar Tage vor seinem 50. Geburtstag. Nach einer spektakulären frühen Karriere – Innenminister mit 35 Jahren und Erster Lord der Admiralität 1911 – hatte er schwere Zeiten durchgemacht. Das Debakel von Gallipoli 1915 war ein Wendepunkt gewesen. Politisch beschädigt war er an die Westfront gegangen, um dort zu kämpfen, hielt weiterhin seine brillanten Reden und wurde zum Anhänger von Lloyd George. Als der »walisische Magier« 1922 aus dem Amt gedrängt wurde, hatte Churchill seinen Sitz im Parlament verloren und verbrachte die beiden nächsten Jahre mit dem Versuch, sich zu rehabilitieren.
Das war eine beängstigende Aufgabe. In politischen Kreisen misstraute man ihm allgemein, weil er nicht nur einmal, sondern gleich zweimal die Partei gewechselt hatte. Als sich die Konservativen 1903 wegen der Frage des Freihandels gespalten hatten und ihre politischen Aussichten düster aussahen, hatte er sich den Liberalen angeschlossen und wurde nach kaum zwei Jahren Minister. Und jetzt, 1924, da die Liberalen ins politische Niemandsland abgeschoben worden waren, verließ er sie wieder – obwohl er, um die Form zu wahren, erst Jahre später formell zu den Konservativen übertrat. Viele Leute glaubten, skrupelloser Ehrgeiz und schlechtes Urteilsvermögen seien bei den Churchills ein Teil des Erbguts, so wie Gladstone urteilte: »Seit John Marlborough gab es noch nie einen Churchill, der Moral oder Prinzipien hatte.«
Als Baldwin ihm die Schatzkanzlerschaft anbot, war Churchill selbst so überrascht, dass er dachte, man biete ihm die Position des Kanzlers von Lancaster; eine Pfründe, die als allgemeiner Bewährungsposten für junge Minister galt (und immer noch gilt). Er war so begierig auf die Rückkehr an die Macht, dass er sogar mit der Idee liebäugelte, diese Position anzunehmen, die er schon zehn Jahre zuvor innegehabt und später verzweifelt aufgegeben hatte. Als seine Ernennung zum Schatzkanzler oder Finanzminister schließlich angekündigt wurde, gab es in konservativen Kreisen einen Aufschrei. Ein Minister beklagte sich, er könne nicht verstehen »wie irgendjemand einem Mann vertrauen kann, der die Seiten wechselt, nur weil er meint, es sei zu seinem persönlichen Vorteil, dies zu tun«, und lamentierte, dass »der krankhaft ehrgeizige Wichtigtuer Winston die Partei spalten wird.« Aber Baldwin ertrug die Reaktionen seiner vielen Dickschädel, weil er, wie es hieß, Churchill lieber in der Regierung hatte, wo er ein Auge auf ihn haben konnte, als außerhalb, wo er nur für Unfrieden sorgen konnte.
Obwohl jeder seine Talente anerkannte – formidable Energie, Überschwänglichkeit und ruhelose Phantasie –, sahen viele, vor allem die reaktionäreren Tories, Churchill als rücksichtslosen, selbstsüchtigen und ehrgeizigen politischen Abenteurer. Der anrüchige Freundeskreis, mit dem er sich in diesen Jahren umgab, intensivierte nur die Zweifel an seinem
Urteilsvermögen. Seine drei großen Kumpane waren Max Aitken, Lord Beaverbrook, der charmante und manipulative Pressezar und Meister der politischen Intrige; F. E. Smith, Lord Birkenhead, ein blendend kluger Anwalt, geistreich und beredsam, der Führer der konservativen Partei hätte werden können, wäre er nicht Alkoholiker mit der Neigung gewesen, Mädchen im Teenageralter zu verführen; und Brendan Bracken, Parlamentsmitglied, ein australisch-irischer Gauner, über den das Gerücht ging, er sei Churchills unehelicher Sohn.
Trotz Normans natürlichem Konservatismus und seiner Freundschaft zu Baldwin war er nicht direkt begeistert über die
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