Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
bevorstehende Rückkehr des Pfunds zum Goldstandard vorbereiten. Als die Presse den offiziellen Sprecher der Bank of England zu einer Stellungnahme drängte, drückte dieser seine völlige Verblüffung darüber aus, dass sein Chef in New York war, bemerkte aber, Norman nehme in der Regel um diese Jahreszeit seinen Urlaub, und daher habe man seine Abwesenheit »nicht bemerkt«.
Die Botschaft in Washington war erfinderischer. Zwei Monate zuvor hatte die New Yorker Fed ihr neues Hauptquartier in der Liberty Street bezogen. Dort gab es nicht nur ein gigantisches Gewölbe für die sehr beträchtlichen Goldreserven der Bank, aus dem soliden Felsboden Manhattans herausgesprengt und von Tresortüren geschützt, die drei Meter dick waren und pro Stück 230 Tonnen wogen, sondern auch neuartige mechanische Münzsortiermaschinen. Damit sortierte man die 20 Tonnen Münzgeld, die jeden Tag in die Bank kamen. Da die Bank of England selbst dabei war, einen Plan für den Umbau ihres ehrwürdigen Hauptquartiers in London zu konzipieren, war Norman offensichtlich in die USA gekommen, um sich diesbezüglich Anregungen zu holen.
Norman war seit zwei Jahren nicht mehr in den USA gewesen. Ausgelöst von neuen Industrien wie Autos, Radios, Haushaltsgeräten, elektrischen Maschinen und Kunststoff, stand die amerikanische Wirtschaft gerade am Beginn des spektakulären Booms der 1920er-Jahre. Die physische Verwandlung der Stadt war bemerkenswert. Am stärksten fielen die vielen Autos auf den Straßen auf, deren Zahl sich seit seinem letzten Aufenthalt verdoppelt hatte – es gab nun allein in New York City so viele Autos wie in der gesamten deutschen Republik. Trotz der Einführung von Verkehrssignalen in Manhattan Anfang 1924 gab es immer noch ständig Verkehrsstaus, und jeder beklagte sich darüber. Es ging aber nicht nur um das Auto. Es hatte eine schwindelerregende Revolution gegeben, was die verfügbaren Güter betraf – Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen und Staubsauger, neue Materialien wie Viskose und Zellophan, Radios und Tonfilme –, die die ganze Struktur des Lebens veränderte. Der Kontrast zwischen der knallbunten Prosperität der Vereinigten Staaten, wo ein typischer Arbeiter fast sechs Dollar am Tag verdiente, und der trüben Armut im Europa der Nachkriegszeit, wo Arbeiter weniger als zwei Dollar pro Tag verdienten, war eine weitere Mahnung an den schrecklichen Preis des Kriegs.
Strong wartete voller Ungeduld am Pier. Er war der amerikanische Regierungsbeamte mit dem tiefsten Verständnis internationaler Finanzthemen, dem größten Netzwerk von Freunden und Kontakten zu europäischen Bankkreisen und dem stärksten Bekenntnis zum Wiederaufbau Europas. Dennoch hatte ihn eine Kombination aus seiner schwachen Gesundheit und der offiziellen Regierungsrichtlinie, sich aus den finanziellen Angelegenheiten Europas herauszuhalten, zur Passivität verurteilt. 1922 hatte er versucht sich einzubringen, indem er eine Lösung für die Hyperinflation in Deutschland konzipierte, aber er war vom Außenminister ausdrücklich davon abgehalten worden. Den größten Teil des Jahres 1923 war er krank gewesen. Dann, Anfang 1924, war er wieder von Verwaltungsbeamten aus den Verhandlungen zum Dawes-Plan ausgeschlossen worden, mit Ausnahme einiger informeller Gespräche bei einem kurzen Besuch in London und Paris im Frühling. Bei seiner Rückkehr war er wieder krank geworden und musste den Herbst zeitweise erneut zur Erholung in Colorado verbringen.
Er blieb allerdings davon überzeugt, dass wegen der Bedeutung des Pfunds für den Welthandel eine globale Rückkehr zum Goldstandard möglich wäre, wenn Großbritannien die Führung übernehmen würde: »Das große Problem ist Sterling. Die anderen Währungen werden problemlos folgen, wenn man das Problem mit dem Pfund löst«, sagte er seinen Kollegen immer wieder.
Strong, der gerade in eine geräumigere Wohnung in der Maguery umgezogen war, einem eleganten Appartement-Hotel an der Ecke 48. Straße/Park Avenue, bestand darauf, dass Norman bei ihm wohnte. In den nächsten beiden Wochen wurde Norman tagsüber und an den Abenden einer intensiven Kampagne der Amerikaner – vor allem von Seiten Strongs und der Morgan-Bankiers – unterzogen, das Pfund so rasch wie möglich zum Goldstandard zurückzubringen.
Strong musste Norman nicht von den Konsequenzen für den Fall überzeugen, dass Großbritannien nicht zum Gold zurückkehren würde. Beide waren der Meinung, dies könne nur zu »einem langen
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