Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
neue konservative Regierung, weil er befürchtete, sie werde zulassen, dass seine Wirtschaftspolitik in die Hände von »Händlern und Fabrikanten« fiel, »die, obwohl sie eine entfernte Zuneigung zu Gold und eine echte Zuneigung zu Stabilität haben, immer einen Schluck Brandy haben wollen (in Form von Inflation).« Und extravaganten Charakteren wie Churchill misstraute er von Natur aus. Der vorherige Schatzkanzler in der Labour-Minderheitsregierung war Philip Snowden gewesen, ein äußerst moralischer Abstinenzler, verkrüppelt durch Rückenmarkstuberkulose, der sich nur mit zwei Krücken fortbewegen konnte. Mit seinen dünnen Lippen, seinen eisigen Augen und dem blutlosen, knochigen Gesicht, seinem schwarzen Anzug und den schwarzen türkischen Zigaretten sah er aus wie ein Totengräber in einem Horrorfilm. Aber obwohl Snowden fest daran glaubte, dass der Kapitalismus zum Untergang verdammt sei und obwohl er Bankiers misstraute, hatte er sich der Sache des orthodoxen Finanzwesens und dem Goldstandard mit aller Leidenschaft seiner alten puritanischen und radikalen Herkunft verschrieben und eine außerordentlich enge Beziehung zu Norman aufgebaut.
Churchill und Norman hätten nicht unterschiedlicher sein können. Churchill gierte nach öffentlicher Aufmerksamkeit und war weithin bekannt für seine Selbstdarstellung. Norman umgab sich lieber mit einem Geheimnis und mied das Rampenlicht. Churchill hofierte die Presseleute. Für Norman gehörten sie zur Vorhut einer neuen Barbarei, die die Gefühle der großen Wählerschaft ausbeuteten. Churchill war von Natur aus gesellig, liebte Gesellschaft und hasste es, allein zu sein. Norman ging selten unter Leute, vergrub sich in seiner Arbeit und bezeichnete die Bank of England, als »seine einzige Geliebte«. Churchill argumentierte und debattierte gern. Norman war reserviert und unkommunikativ, konnte sich in der Öffentlichkeit nur schlecht artikulieren, und wenn er auf Widerstand stieß, zog er sich in ein Schneckenhaus der Verdrießlichkeit zurück.
Auch ihre persönlichen Gewohnheiten waren diametral entgegengesetzt. Churchill war süchtig nach dem süßen Leben. Er besaß einen Rolls-Royce mit Chauffeur und hatte nach eigenem Eingeständnis noch nie einen Bus oder die U-Bahn benutzt. 26 Er hielt sich ein enormes Gefolge von 24 Bediensteten und verwöhnte sich mit den schönen Dingen des Lebens – Seidenunterwäsche, Champagner zu jeder Mahlzeit, Havanna-Zigarren, etliche Polopferde und Aufenthalte an den Spieltischen in Monte Carlo und Biarritz –, und daher war er, wie nicht anders zu erwarten, ständig verschuldet. Norman dagegen führte, trotz seines ererbten Reichtums und seines großen Hauses in Holland Park, ein Leben von fast mönchischer Einfachheit. Er schlief in einem eisernen Bett in einem kahlen Zimmer, in dem Gemälde an der Wand lehnten und fuhr jeden Tag mit der U-Bahn zur Arbeit, wobei die Fahrkarte vorwitzig aus seinem Hutband lugte.
Zu den einzigen Gemeinsamkeiten der beiden Männer gehörte die Verachtung für die engstirnigen »kleinen Engländer«, die befürchteten, Großbritannien werde seine führende Rolle in der Welt verlieren, sowie eine besondere Sympathie für die USA, was für Engländer aus der Oberschicht ungewöhnlich war, die in der Blütezeit des edwardianischen Englands aufgewachsen waren.
In den letzten Monaten 1924 begann das Pfund zu steigen, angetrieben von Spekulanten, die darauf setzten, dass die neue konservative Regierung zum Gold zurückkehren würde. Aber die fundamentale Diskrepanz zwischen den britischen und den amerikanischen Preisen blieb erhalten, und Norman war immer noch unsicher, ob er auf eine frühzeitige Rückkehr zum Goldstandard drängen sollte. Nichts war symbolischer für die neue finanzielle Position Großbritanniens als die Tatsache, dass Norman erst nach New York reisen und sich mit Strong beraten musste, ehe er auch nur daran denken konnte.
Am 28. Dezember kam er an Bord der S. S. Carania in New York an. Er hatte es geschafft, »unentdeckt, wie ein Schatten in tiefster Nacht«, wie es eine Zeitschrift formulierte, aus England herauszukommen. Aber er wurde rasch von Reportern demaskiert, was die üblichen Spekulationen auslöste. Einerseits hieß es, er sei in den USA, um die Kriegsschulden neu zu verhandeln, eine andere Geschichte lautete, er sei auf geheimer, aber nicht genau festgelegter Mission für die britische Regierung. Ein Gerücht lautete sogar, er wolle die amerikanischen Bankiers auf die
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