Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Minute zurück. Die nächsten Wochen verbrachte er mit der verzweifelten Suche nach Geld und wandte sich sogar an Montagu Norman, um die Bank of England um Hilfe zu bitten. Natürlich wies ihn Norman zurück, der einen Mann wie Hatry höchst widerwärtig fand und sagte ihm, er habe für United Steel zu viel bezahlt. Nachdem er mit all seinen Firmen als Sicherheit so viele Kredite wie möglich aufgenommen hatte, flüchtete er sich schließlich in einen kleinkarierten Betrug. Er fälschte Kommunalanleihen im Gegenwert von einer Million Dollar, um sie als Sicherheiten für weitere Kredite einzusetzen.
Anfang September gab es Gerüchte, er habe sich völlig übernommen, und die Aktienkurse seiner Unternehmen stürzten ab. Seine Bankiers kündigten ihm die Kredite. Als er erkannte, dass das Spiel vorbei war, ging Hatry unter wie ein echter Brite. Am 18. September rief er seinen Buchhalter Sir Gilbert Garney zu sich und erzählte ihm von seinem Betrug. Nachdem er Hatry gründlich befragt hatte, rief Sir Gilbert seinen alten Freund Sir Archibald Bodkin an, den Leiter der Staatsanwaltschaft, und sagte ihm, es gebe da eine Gruppe von Männern aus der City, die einen Betrug von »erstaunlichem« Ausmaß gestehen wollten. Als Sir Archibald hörte, die Summe betrage 120 Millionen Dollar – was, gemessen an der Größe der britischen Wirtschaft, in etwa dem Ausmaß der Enron-Pleite 2001 in den Vereinigten Staaten entsprach – arrangierte er ein Treffen mit den betreffenden Personen um 10.00 Uhr am nächsten Morgen in seinem Büro. Am folgenden Tag erschien Hatry gehorsam bei Sir Archibald, gestand seine Verbrechen und kam sofort in Haft.
Als der Börsenhandel in New York am Freitag, dem 20. September, begann, gab der Markt nach, verlor acht Punkte und schloss bei 362 Punkten. In der folgenden Woche erhöhte die Bank of England die Zinsen auf 7,5 Prozent, weil sie befürchtete, das Pfund sei wegen Hatrys Kollaps in Gefahr, und der Markt gab um weitere 17 Punkte nach.
Weil viele britische Anleger, die mit Hatry Geld verloren hatten, ihre Aktienpositionen in den USA liquidieren mussten und ihr Geld vom New Yorker Markt für Brokerkredite abzuziehen begannen, geriet der Dow stärker unter Druck und fiel in der Woche um den 30. September um weitere 20 auf 325 Punkte. Innerhalb von zwei Wochen hatte er die Gewinne der vorangegangenen beiden Monate wieder abgegeben. Bislang war der Kursrückgang zwar empfindlich, aber nicht außergewöhnlich stark gewesen. In der Woche um den 7. Oktober überraschte der Dow allgemein mit einem Anstieg von 27 Punkten. Daher begann der Dow die Woche des 14. Oktober bei etwa 350 Punkten, knapp zehn Prozent unterhalb seiner Allzeithochs.
Am Dienstag, dem 15. Oktober, ließ der Wirtschaftswissenschaftler und Marktexperte Irving Fisher seine übliche Zurückhaltung fahren. In einer Rede, die wegen ihres spektakulär schlechten Timings in die Geschichte eingehen sollte, erklärte er: »Die Aktien haben ein offenbar dauerhaft hohes Niveau erreicht.« Zu den Gründen, die er später für seine optimistische Prognose nannte, gehörten »die höhere Prosperität durch das stabilere Geld, neue Fusionen, neues wissenschaftliches Management, neue Erfindungen« und schließlich konnte er – Fisher war letztlich Fisher – auch nicht der Versuchung widerstehen, die Vorteile der »Prohibition« als Ursache zu nennen. Der Markt sackte erneut ab – er fiel in der folgenden Woche um 20 und an den ersten drei Tagen der übernächsten Woche um weitere 18 Punkte. Es stand nun wieder bei 305 Punkten und hatte seit dem Hoch im September etwa 20 Prozent seines Werts verloren. Bislang hatte es allerdings keinen wirklichen Grund für eine Panik gegeben.
Ein weiteres Opfer schlechten Timings war Thomas Lamont von J. P. Morgan & Co., der das Wochenende um den 19. Oktober wählte, um Hoover einen 18-seitigen Brief zu schreiben. »Es gibt viel Übertreibung im derzeitigen Gerede über die Spekulation«, warnte er den Präsidenten. In der Tat argumentierte er, ein gewisses Maß an Spekulation sei eine gesunde Möglichkeit, die amerikanische Öffentlichkeit an die Vorteile des Aktienbesitzes heranzuführen, so wie »mangelnder Appetit manchmal durch einen Cocktail stimuliert werden kann, was den Genuss einer herzhaften Mahlzeit ermöglicht.« »Die Zukunft sieht glänzend aus«, schrieb er, und er drängte den Präsidenten leidenschaftlich dazu, nicht zu intervenieren. Dieser Brief liegt heute in den Präsidenten-Archiven,
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