Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
versehen mit der folgenden handschriftlichen Anmerkung Hoovers: »Dieses Dokument ist recht erstaunlich.«
Am Mittwoch, dem 23. Oktober, drückte in den letzten beiden Handelsstunden völlig unerwartet eine plötzliche Lawine von Verkaufsaufträgen, deren Ursprung ein absolutes Mysterium blieb, den Markt um 20 Punkte nach unten. Am folgenden Tag, der bald als Schwarzer Donnerstag bekannt werden sollte, kam es zur ersten echten Panik. Der Handel begann behauptet mit geringen Kursveränderungen, aber etwa um 11.00 Uhr strömte eine Flut von großen Verkaufsaufträgen aus dem ganzen Land herein – aus so unterschiedlichen Orten wie Boston, Bridgeport, Memphis, Tulsa und Fresno. Die Kurse der wichtigsten Aktien stürzten ab. Während der folgenden Stunde verloren die bedeutendsten Indizes 20 Prozent, während RCA, die Lieblingsaktie der Spekulanten, um mehr als 35 Prozent fiel. Die Panik wurde noch dadurch verstärkt, dass die Kommunikationslinien im ganzen Land durch Stürme unterbrochen waren, und dass die Telefonleitungen derart überlastet waren, dass viele Tausend Investoren ihre Broker nicht erreichen konnten.
Gerüchte über den Tumult breiteten sich schnell in der ganzen Stadt aus, und gegen Mittag hatte sich eine Menge von 10 000 Neugierigen, angezogen vom Geruch der Katastrophe, an der Ecke Wall Street/Broad Street direkt gegenüber der Börse versammelt. Der Polizeikommissar Grover Whalen hatte zusätzliche 600 Polizisten abgestellt, darunter eine berittene Abteilung, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Menge mit Sperren vom Eingang zur Börse fernzuhalten. Eine Gruppe von Zeitungsfotografen und Kameraleuten versammelte sich auf den Stufen des benachbarten Gebäudes, um die Szene zu dokumentieren.
Kurz nach Mittag sah man, wie sich die Barone der Wall Street – Charles Mitchell von der National City Bank, Albert Wiggins von Chase, William Potter von Guaranty Trust, Seward Posser von Bankers Trust und George Baker von der First National – durch die Menge drängten und das Gebäude von J. P. Morgan in der Wall Street Nr. 23 betraten. Nach nur 20 Minuten kamen sie mit finsteren Gesichtern wieder heraus und gingen weg, ohne mit den Reportern zu sprechen. Ein paar Minuten später erschien Thomas Lamont und hielt eine improvisierte Pressekonferenz in der marmorgetäfelten Lobby von Morgan ab.
Er sah »ernst« aus und »gestikulierte mit seinem Kneifer herum, während er sprach.« Er begann mit der Äußerung: »An der Börse hat es ein paar ängstliche Verkäufe gegeben.« Obwohl er nur versuchte, die Nerven der Börse zu beruhigen, war dies eine Bemerkung, die als Klassiker in die Börsengeschichte eingehen sollte, für immer verspottet als typisches Beispiel für die Fähigkeit der Wall Street zur Selbsttäuschung und Vernebelung. »Luftlöcher«, verursacht durch eine »technische Situation«, hätten sich im Markt gebildet, meinte Lamont. Die Situation, so versicherte er seinen Zuhörern, sei »leicht wieder zu verbessern.«
Was er nicht bekannt gab war, dass die sechs Bankiers sich darauf geeinigt hatten, in einen Pool einzuzahlen, der ein »Polster« für die Kaufkraft bilden sollte, um die Aktienkurse zu stützen. Um 13.30 Uhr schritt Richard Whitney, der Präsident der Börse – Bruder des Morgan-Partners George Whitney und selbst Aktienbroker für diese Firma – zuversichtlich auf das überfüllte Börsenparkett und platzierte eine Kauforder über 10 000 Aktien von U. S. Steel zu 205 Dollar – fünf Dollar über dem letzten Verkaufskurs. Dann ging er von einem Maklerstand zum nächsten und verteilte ähnlich umfangreiche Kaufaufträge für Standardaktien – zu Gesamtkosten von 20 bis 30 Millionen Dollar. Begleitet von Jubelrufen und anfeuernden Pfiffen auf dem Parkett stieg der Markt dramatisch an und verzeichnete am Ende des Handelstages einen Gesamtverlust von lediglich sechs Punkten. Obwohl die Aktien von der Rettungsaktion profitiert hatten und der Markt an diesem Nachmittag deutlich angestiegen war, vertraute Lamont den Gouverneuren der Börse hinter verschlossenen Türen an, dass die Unterstützung durch die Bankiers begrenzt war: »Es gibt keinen Mann oder eine Gruppe von Männern, die alle Aktien kaufen kann, die die amerikanische Öffentlichkeit verkaufen kann.«
Während die Privatbankiers dem Markt diesen Rettungsring zuwarfen, war die Zentralbank, die Federal Reserve, durch Meinungsverschiedenheiten paralysiert. Um die Kreditkonditionen an diesem Vormittag zu lockern,
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