Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Mittagessen für 19 Personen, zu denen auch Gäste wie George Bernard Shaw und John Galsworthy gehörten, beide in Deutschland sehr populäre Autoren, zogen sich die Offiziellen zurück, um über Finanzthemen zu diskutieren. Brüning beschrieb die schreckliche Situation in Deutschland. Als die Reichswehr in diesem Jahr 6 000 neue Rekruten benötigte, bewarben sich 80 000 Männer, die Hälfte davon unterernährt. Die Menschen waren verzweifelt. Die soziale Struktur des Landes löste sich auf. Die Bedrohung durch die Agitation der Nazis und der Kommunisten wuchs von Tag zu Tag.
Während Brüning fortfuhr, kamen einige fieberhafte Telegramme des britischen Botschafters in Washington an, der gerade von Stimson gehört hatte. Stimson war wütend über den provokativen Tonfall des Manifests. Unter keinen Umständen, so warnte der Außenminister, sollten die Deutschen irgendwelche einseitigen Maßnahmen ergreifen. Diese könnten eine massive Flucht kurzfristiger Finanzmittel aus Deutschland verursachen, was Hoovers geplantem Moratorium, das immer noch ein Geheimnis war, viel von seinen Vorteilen nehmen würde. Die Telegramme versetzten die Briten in einen Schockzustand. Sie hatten noch nichts von dem Manifest gehört, das nicht einmal in den britischen Zeitungen veröffentlicht worden war. Ihre Gäste hatten es nicht erwähnt, denn dieses Dokument war für den internen Gebrauch gedacht, und Brüning hatte keine wirklichen Absichten, vor dem Herbst erneut über die Reparationen zu verhandeln.
Jede deutsche Maßnahme zur Aussetzung der Reparationen wäre nun eine Katastrophe, sagte Norman den erschütterten Anwesenden. Sollte es noch weitere solche Überraschungen für das Vertrauen in Europa geben, dann, so erklärte er, werde man an der Leiche Europas bald »eine Autopsie durchführen.«
Nun wurde es ein Wettrennen. Konnte Hoover genug Unterstützung für seine Initiative gewinnen, ehe Deutschland das Gold ausging? In Washington stieg die Temperatur auf 40 Grad, als die Teams im Außen- und im Finanzministerium in Büros ohne Klimaanlage 18 Stunden täglich an den Details arbeiteten. Sie wurden von New Yorker Bankiers belagert, die »weinend zusammenbrachen … und klagten, sie seien ruiniert«, sagte Stimsons Wirtschafsberater. Ogden Mills, der in Mellons Abwesenheit das Finanzministerium leitete, war ständig in der unterirdischen Passage unterwegs, die das Ministeriumsgebäude mit dem Weißen Haus verband, um den Präsidenten zu informieren. An Hoover selbst nagten Zweifel. Die ständige Kritik der Presse und die zynischen Scherze über seine Unbeliebtheit hatten ihren Tribut gefordert. Als H. G. Wells im Herbst das Weiße Haus besuchte, fand er dort einen »kränklichen, überarbeiteten und überforderten Mann« vor. Eine Belagerungsmentalität hatte sich im Haus des Präsidenten ausgebreitet. Die Niedergeschlagenheit des Präsidenten war so bedrückend, dass sich Stimson beklagte, sich in dessen Amtszimmer mit ihm zu treffen sei »als säße man in einem düsteren Aktenschrank.«
Derweil verlor Deutschland in den ersten drei Juniwochen etwa 350 Millionen Dollar, mehr als die Hälfte seiner Goldreserven. In London war Norman damit beschäftigt, britische Bankiers dazu zu drängen, ihr Geld nicht aus Deutschland abzuziehen, weil sich Währungs- und Bankenkrisen über ganz Europa nach Ungarn, Rumänien, Polen und Spanien ausgebreitet hatten.
Am Samstag, dem 20. Juni, wurde Hoovers Plan öffentlich verkündet. Die USA würden auf die Kapitalzahlungen eines Jahres und die Zinsen auf Kriegsschulden Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und einiger kleinerer europäischen Mächte in Höhe von 245 Millionen Dollar verzichten. Dies unter der Bedingung – der einzigen Bedingung –, dass die Alliierten ihrerseits 385 Millionen Dollar von Deutschland geschuldeter Reparationen vorübergehend aussetzen würden. Der Effekt war elektrisierend. Am folgenden Montag sprang der deutsche Aktienmarkt an einem einzigen Tag um 25 Prozent nach oben.
Hoover hatte versucht, vor dieser Ankündigung alle möglichen Leute zu konsultieren. Es hieß, er habe sich bereits die Unterstützung von 21 Senatoren gesichert, ehe er den Plan veröffentlichte. Senator Arthur Vandenberg aus Michigan, der auf Vergnügungsreise in Kanada weilte, wurde von einem Gemischtwarenladen in Toronto aus telefonisch mit dem Präsidenten verbunden. Mehrere Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses waren eingeladen worden, die Nacht im Weißen Haus zu
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