Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
verbringen. Der Außenminister stand eines Tages um 5.30 Uhr morgens auf, um mit Premierminister MacDonald zu telefonieren.
Die Administration hatte jeden konsultiert – das heißt, jeden außer die Franzosen. Im ungeschicktesten diplomatischen Akt seiner gesamten Präsidentschaft war die einzige Partei, die Hoover vorzubereiten unterlassen hatte, nicht nur Deutschlands größter Gläubiger, sondern im Moment auch die dominante Finanzmacht in Europa. Die französische Regierung reagierte zunächst erstaunt und dann wütend.
Der amerikanische Botschafter Walter Edge sollte den Nachmittag mit dem Rest des diplomatischen Corps als Gast des Präsidenten der Republik beim Pferderennen in Longchamps verbringen. Er hatte seine zwei Jahre als Botschafter mit dem Versuch verbracht, den Verdacht in französischen Regierungskreisen zu zerstreuen, dass »wir [die Amerikaner] und die Briten eine Verschwörung gegen Frankreich planten.« Frankreich hatte die größte stehende Armee der Welt. Mit den weltweit zweitgrößten Goldreserven nach den USA war es das finanzstärkste Land in Europa. Seine Wirtschaft hatte die globale Depression besser überstanden als fast jede andere. Und dennoch, so beklagten sich die Männer, die das Land regierten, behandelten die Angelsachsen Frankreich noch immer wie eine zweitklassige Macht.
In der Präsidentenloge an der Rennbahn wurde Edge von einer Phalanx wutschnaubender französischer Politiker mit Fragen überschüttet. Es war ja in Ordnung, wenn die USA ihren Schuldnern die Zahlungen erließen, aber wie konnten sie einseitig die deutschen Schulden an Frankreich aussetzen, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, Frankreich selbst zu konsultieren? Frankreich wurde als »Stiefkind« behandelt. Premierminister Pierre Naval, früher Sozialist und nun Nationalist, verlangte zu wissen, welche Garantie die USA dafür geben konnten, dass die Zahlungen nach einem Jahr wieder aufgenommen würden. Ein anderer Minister ließ eine höchst farbige und sarkastische Schmährede vom Stapel – Frankreich werde dazu aufgefordert, die Rechnung für das »Versöhnungsfest« zu Ehren des »verschwenderischen Reichs« zu bezahlen, während sich die Wall Street und die Londoner City über die »Schlachtung des fetten Kalbs« freuten. Außenminister Aristide Briand berief Edge am folgenden Tag ein, um ihm eine Schimpftirade zu halten, wobei er die Bank of England als Ursprung der ganzen Verschwörung bezeichnete. Er nannte Normans Besuch in den Vereinigten Staaten einige Wochen zuvor als unwiderlegbare Bestätigung einer Konspiration der angelsächsischen Bankiers.
Am folgenden Montag verdammte die französische Presse einheitlich jeden Gedanken an ein Moratorium. Das Journal des Débats , das Organ der französischen Industrie, schrieb schäumend vor Wut: »Je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr verschlägt einem Mr. Hoovers Initiative die Sprache.«
In Washington beschloss der Präsident, dass Mellon, der in Großbritannien weilte, um an der Abschlussfeier seines Sohns Paul am King’s College in Cambridge teilzunehmen und selbst die Ehrendoktorwürde – seine fünfzehnte – in Empfang zu nehmen, nach Paris gebracht werden sollte, um die Franzosen umzustimmen. Obwohl eine weltweite Finanzkrise tobte, war Mellon in London angekommen und hatte sehr bewusst jeden Kontakt mit Vertretern des Finanzministeriums oder der Bank of England vermieden, weil er glaubte, seine Urlaubszeit sei heilig. Als Norman versuchte, über seinen Sekretär in Washington mit ihm in Kontakt zu kommen, wurde er mit der Entschuldigung abgewiesen, Mellon sei privat unterwegs und nicht erreichbar. Schließlich wandte sich Norman an den jungen Mellon in Cambridge und spürte dessen Vater im Claridges auf. Nach einiger Überzeugungsarbeit erklärte sich Mellon widerwillig dazu bereit, seinen bevorstehenden Urlaub in Cap Ferrat zu verschieben und nach Paris zu fahren.
Er traf am 25. Juni ein und wurde von Robert Lacour-Gayet von der Banque de France an der Gare du Nord begrüßt. Als dieser ihn fragte: »Sind Sie froh, in Paris zu sein, Mr. Mellon?«, antwortete er unverbindlich und mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln: »Monsieur Lacour-Gayet, wir sind hier.« Offenbar unzufrieden erinnerte er die Reporter immer wieder daran, dass er mit dem Plan nach Europa gekommen war, mit seiner Tochter Ailsa und deren Mann, dem jungen Diplomaten David Bruce, eine Vergnügungsreise an die Riviera zu unternehmen.
In den nächsten Wochen war Mellon
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