Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
mit zahlreichen Verhandlungen beschäftigt. Jeden Tag brach er pflichtbewusst mit Botschafter Edge zum altertümlichen und muffigen Gebäude auf, in dem das Innenministerium und auch die französische Geheimpolizei untergebracht waren. Mellon, der in der Regel ein Clubsandwich an seinem Schreibtisch bevorzugte, musste die Menüs mit acht Gängen – jeder von einem anderen Wein begleitet – aussitzen, die ein traditioneller Teil französischer Diplomatie waren.
Das französische Team, das tagsüber verhandelte, obwohl die Sitzungen der Nationalversammlungen die ganze Nacht dauerten, wurde von Premierminister Laval geleitet. Er war ein Schützling Tardieus, der im Dezember zum Rücktritt gezwungen wurde, weil er schon wieder in einen Bankskandal verwickelt war. Mit 46 Jahren war Laval der jüngste Premierminister in der Geschichte der Dritten Republik. Er stammte aus einer südfranzösischen Bauernfamilie; mit seiner dunklen Haut, seinem glatten schwarzen Haar und dem struppigen Schnurrbart war er »von dümmlichem Aussehen, wie ein überarbeiteter Oberkellner an seinem freien Tag.« Er trug gern schäbige weiße Fliegen und einen Strohhut.
Mellon versuchte die Franzosen davon zu überzeugen, dass sie, wenn sie ein Jahr auf 200 Millionen Dollar verzichteten, 115 Millionen Dollar weniger Kriegsschulden zahlen mussten – ihre Nettokosten betrugen also »nur« 85 Millionen Dollar. Die Amerikaner dagegen würden auf 260 Millionen Dollar verzichten. Laval zeigte sich unnachgiebig. Die Verhandlungen zogen sich über zwei Wochen hin.
Der 76-jährige Mellon musste während der Bürostunden in Washington und in Paris arbeiten. Die Staatsmänner hatten gerade erst die Vorteile des Telefons entdeckt. Jeden Abend und manchmal zwei- bis dreimal täglich rief Mellon von der Residenz des amerikanischen Botschafters aus im Weißen Haus an. Das französische Telefonsystem wurde damals gerade überarbeitet, und es gab nur zwei funktionierende Telefone: eines in der Wohnung des Hausmeisters im Erdgeschoss und eines im Schlafzimmer der Ehefrau des Botschafters. Mellon mit seiner sanften Stimme war oft kaum zu verstehen.
Das Gesprächsklima wurde allmählich frostig. Hoover wurde jeden Tag zorniger, wetterte gegen die Franzosen und beschuldigte Mellon, zu sanft mit Frankreich umzugehen. Derweil bluteten Deutschlands Goldreserven weiter aus. Die Zentralbankiers stellten am 24. Juni einen Kredit in Höhe von 100 Millionen Dollar zur Verfügung, der zehn Tage später bereits aufgebraucht war. Berlin »verblutete«, während die Franzosen und die Amerikaner diskutierten, beklagte sich Norman bei einem seiner nun regelmäßigen Telefonate mit Harrison in New York. Der britische Premierminister formulierte es in seinem Tagebuch schärfer: »Frankreich spielt mit Hoovers Vorschlag sein übliches kleingeistiges und selbstsüchtiges Spiel. … Es passt nicht zum offiziellen Wesens Frankreichs, eine gute Sache um ihrer selbst willen zu tun. Daher zerbricht Deutschland, während Frankreich feilscht.«
Am 7. Juli waren die Verhandlungen schließlich abgeschlossen. Die Amerikaner räumten ein, dass Deutschland nur einen Teil seiner verbliebenen Reparationszahlungen aussetzte, und Frankreich erklärte sich einverstanden, die restlichen Reparationen, die es erhielt, gleich wieder an Deutschland zu verleihen. So konnten beide Seiten behaupten, sie hätten die Oberhand behalten. »Jetzt können sie ihren unterbrochenen Urlaub fortsetzen, Monsieur Mellon«, sagte der französische Premierminister sarkastisch. Der Finanzminister brach sofort zur Riviera auf.
Es war zu spät. Am 17. Juni erklärte sich die Norddeutsche Wollkämmerei, die »Nordwolle«, ein großes deutsches Wollunternehmen, für bankrott und deckte Verluste von 50 Millionen Dollar auf, die es zuvor mit Erfolg verborgen hatte, indem es seine Lagerbestände zu aufgeblähten Preisen auf seine holländische Tochterfirma übertrug. Die Nordwolle hatte nicht ihr gesamtes Geld mit der Produktion von Decken und Bettbezügen verloren – offenbar hatte das Management auf einen Anstieg der Wollpreise spekuliert, indem es Lagerbestände aufbaute und am Futuresmarkt Wolle kaufte. Diese Wette war böse daneben gegangen.
Am 5. Juli schrieb eine Baseler Zeitung, eine nicht genannte deutsche Bank stecke in Schwierigkeiten. In Berlin gab es alle möglichen Gerüchte, und am 6. Juli, dem Tag vor dem Abschluss der Verhandlungen über das Moratorium, dementierte die Danatbank, Schachts ehemaliger
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