Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
nachdachte, bei der BIS seinen Rücktritt einzureichen. Das wäre eine seltsam anachronistische Geste gewesen – wie wenn ein beschämter Pleitier aus seinem Club austritt –, aber man überzeugte ihn, dass es für die BIS nicht möglich wäre, ohne die Anwesenheit der Bank of England bei ihren Konferenzen weiterzuarbeiten.
Niemand hatte in diesem Sommer mehr für die Unterstützung Europas getan als George Harrison. Manchmal muss es ihm vorgekommen sein, als verbringe er den größten Teil des Sommers mit transatlantischen Telefonaten. Auf dem Höhepunkt der Krise in Mitteleuropa muss er mehr als 25 Telefonate mit Norman geführt haben, was in der damaligen Zeit keine einfache Sache war. Nach dem ersten Kredit an Österreich im Mai, als kaum jemand ahnen konnte, wie tief die Panik reichen würde, hatte die Fed der Reichsbank 25 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, war für einen zweiten Mammut-Kredit im Volumen von 500 Millionen Dollar bereit gewesen, der aber niemals zustande kam, hatte der Bank of England weitere 250 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt und schließlich eine wesentliche Rolle dabei gespielt, den letzten Kredit des Morgan-Konsortiums an die britische Regierung im Umfang von 200 Millionen Dollar zustande zu bringen. Das alles hatte nichts genutzt. Die Probleme Europas stellten sich als viel schwerer, sein Geldbedarf als viel größer heraus als die Fed es handhaben konnte.
Nachdem Großbritannien den Goldstandard verlassen hatte, breitete sich die Krise über den Atlantik aus. In den folgenden fünf Wochen tauschten Europäer 750 Millionen Dollar in Gold um, weil sie befürchteten, die USA seien die nächste Nation, die ihre Währung abwerten werde. Es gab zwar populäre Geschichten, die den Goldabfluss »panischen Millionären« und Spekulanten zuschrieben, die an einem solchen Zusammenbruch verdienen wollten, aber es waren nicht hauptsächlich Privatpersonen, die hinter diesen Aktionen steckten. Der größte Akteur war die konservative und aufrechte Schweizerische Nationalbank, die fast 200 Millionen Dollar transferierte. Die belgische Zentralbank hatte 130 Millionen Dollar bewegt, die bereits schwer geschädigte Bank der Niederlande 77 Millionen und die Banque de France 100 Millionen. Die Banque de France hatte ihre Lektion gelernt, nachdem sie bei der Sterling-Abwertung wegen eines irregeleiteten Gefühls von »Solidarität und Höflichkeit«, wie Präsident Moret es ausdrückte, das Siebenfache ihres Eigenkapitals verloren hatte und dafür mit einer Kampagne der öffentlichen Diffamierung in Großbritannien belohnt worden war. Es war einfach zu teuer, ein verantwortungsvoller Weltbürger zu sein.
Für das amerikanische Bankensystem kam der Goldabfluss zu einem besonders kritischen Zeitpunkt, denn es litt damals unter der Pleitewelle, die im Frühling in Chicago begonnen hatte. Im September hatte sich die Panik bis nach Ohio, Pittsburgh und Philadelphia ausgebreitet. Ein Komitee prominenter Einwohner Philadelphias, darunter der Kardinalerzbischof, der Präsident der University of Pennsylvania und der Bürgermeister veröffentlichten in den Zeitungen einen Appell, in dem sie darauf drängten, den örtlichen Banken zu vertrauen. Ohne Erfolg – 39 Banken in der Stadt mit Kundeneinlagen von mehr als 100 Millionen Dollar mussten schließen. In einem einzigen Monat nach dem Abschied der Briten vom Goldstandard gingen 522 amerikanische Banken unter. Bis zum Ende des Jahres hatten insgesamt 2 294 Banken, jede zehnte im Land, mit Kundeneinlagen von insgesamt 1,7 Milliarden Dollar ihre Geschäftstätigkeit eingestellt.
Die Zunahme der Bankenpleiten führte dazu, dass immer mehr Gold gehortet wurde – 500 Millionen Dollar Bargeld wurden aus den Banken abgezogen. Der größte Teil davon wurde zwar in den traditionellen Verstecken verstaut – in Strümpfen, Schreibtischen, Safes, Tresoren unter dem Bett oder in Gewölben, aber ein Teil des Goldes fand seinen Weg auch in recht ungewöhnliche Verstecke. Nach einem Kongressbericht gehörten dazu »Löcher in der Erde, Toiletten, das Futter von Mänteln, Pferdeleinen, Kohlehaufen und hohle Bäume.« Also einfach alles – mit Ausnahme von Bankkonten.
1931 hatte die Fed enorme Goldreserven in Höhe von 4,7 Milliarden Dollar besessen. Sogar nach den Abflüssen im Herbst waren die Vorräte noch umfangreich genug, sogar mehr als das, und es gab niemals das Risiko, praktisch ohne Reserven dazustehen wie die Bank of England oder die Reichsbank.
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