Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Maßnahme den Dollar zu schwächen. Ein Journalist formulierte es so: »Das war so, als würde man einen überzeugten Antialkoholiker auffordern, eine Flasche Gin in einem Zug auszutrinken.«
Harrison war ein geborener Diplomat. Als sich die Wall Street darüber lustig machte, dass der Präsident die Währungspolitik einem Experten für Hühnerfutter anvertraut hatte, benötigte er all sein Taktgefühl und alle seine diplomatischen Fähigkeiten, um als Vermittler zwischen den Banken und einem Weißen Haus tätig sein zu können, das sämtliche Konventionen brach, die im Regelbuch der Währungswirtschaft standen. Als Harrison Norman erstmals über die neue Politik informierte, »schoss der britische Zentralbankier an die Decke.« »Das ist das Schrecklichste, was jemals passiert ist. Die ganze Welt wird pleitegehen«, rief er aus. Roosevelt und Morgenthau amüsierten sich köstlich über Norman und »die anderen ausländischen Bankiers, denen die Haare vor Schreck zu Berge stehen.«
Im November und im Dezember 1933 telefonierten Harrison und der Präsident mehrmals pro Woche miteinander, manchmal sogar mehrmals täglich. Obwohl Harrison Warrens Ideen für völligen Blödsinn hielt, unterlag er doch allmählich dessen verführerischem Charme und wurde Mitglied im Zirkel des Präsidenten. Während alle anderen Verfechter einer harten Währung in der neuen Administration – Warburg, Sprague, Acheson oder Moley – zurücktraten oder entlassen wurden, blieb Harrison auf seinem Platz, weil er davon überzeugt war, der Präsident käme ohne ihn auf noch hirnrissigere Ideen oder – noch schlimmer – der Kongress werde eingreifen. Und die Inflationisten im Kongress fürchtete er noch mehr als Roosevelts Neigung zu abwegigen Einfällen.
Die drei Monate, in denen Roosevelt beim Frühstück den weltweit gültigen Goldpreis festlegte, gehören zu den bizarrsten Episoden in der Geschichte der Währungspolitik. Dies trug dazu bei, dass das Ansehen des Präsidenten ebenso litt wie der Respekt, den man ihm im Ausland entgegenbrachte. Sogar Maynard Keynes, der Währungsmanagement befürwortete, tat diese Praxis als »besoffenen Goldstandard« ab. Aber zumindest torkelte der Dollar in die richtige Richtung.
Gegen Ende des Jahres hatte Roosevelt allmählich genug von diesem Spiel, und Ende Januar 1934 war er bereit, den Goldpreis bei 35 Dollar je Unze zu stabilisieren. Der Dollar war mittlerweile um mehr als 40 Prozent abgewertet worden. Und obwohl die Hohepriester der Wall Street ein Chaos prognostiziert hatten, erwies sich Roosevelts Instinkt als zutreffend. Die Abwertung veränderte die gesamte Dynamik der Wirtschaft.
Das funktionierte auf zweierlei Weise. Erstens brachte der Wertverlust des Dollars die Preise nach oben – wie Warren es vorhergesagt hatte –, und zwar um etwa zehn Prozent jährlich. Als die Preise zu steigen begannen, reduzierten sich automatisch die Belastung durch die Zinsen und die realen Kosten des Geldes. Folglich nahmen die Unternehmen bereitwilliger Kredite auf, und die Verbraucher wurden ausgabefreudiger. Auf diese Weise half der Dollar dem ganzen Land aus dem Tief; aus der sich selbstnährenden Abwärtsspirale wurde eine Bewegung in die entgegengesetzte Richtung. Als die Wirtschaft an Schwung gewann, kam es zu einer sich selbsttragenden Erholung.
Die Abwertung veränderte nicht nur die Dynamik der Ausgaben, sondern sie lieferte auch gleich den dafür nötigen Treibstoff. In den vier Jahren nach 1933 kam es fast zu einer Verdreifachung des Werts der Fed-Goldreserven auf zwölf Milliarden Dollar. Das lag teilweise an einer Wertsteigerung der existierenden Goldvorräte, teilweise auch an neuen Goldzuflüssen aus dem Ausland – Gold im Wert von mehr als fünf Milliarden Dollar strömte ins Land. Ein Teil davon wurde von anderen Zentralbanken abgezogen, aber der größere Teil kam aus der Erde, weil der höhere Preis ein Ansporn für die Goldminenbetreiber war. Die weltweite Goldproduktion führte zu einer jährlichen Erhöhung der globalen Reserven um fast eine Milliarde Dollar. Ein großer Teil dieser zusätzlichen Liquidität floss in die Reserven der Banken, die nach den üblen Erfahrungen von 1931 bis 1933 lange Zeit brauchten, um sich zu erholen. Dennoch war genug Geld vorhanden, um auch den Rest der Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
Folglich verdoppelte sich die amerikanische Industrieproduktion während Roosevelts erster Amtszeit, und das Bruttoinlandsprodukt stieg um 40 Prozent. Ein
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