Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
gehandelt.«
Allerdings erschütterte Mitte 1921 eine Reihe von Ereignissen – die Inflexibilität der Franzosen bezüglich der Reparationen, eine politische Mordserie durch rechte Todesschwadronen – das Vertrauen der Öffentlichkeit, dass Deutschlands Probleme lösbar wären. Die Leute flohen scharenweise aus der Mark. Auch die ausländischen Spekulanten, die in den beiden Vorjahren Mark gekauft hatten, stiegen aus, wobei sie die zwei Milliarden Dollar verloren, die sie in die Mark gepumpt hatten. Wenn man in den späten 1920er-Jahren die Spielsäle in Milwaukee oder Chicago besuchte, sah man, dass die Wände mit wertlos gewordenen deutschen Geldscheinen und Anleihen tapeziert waren.
Als die Mark abstürzte, geriet Deutschland in eine immer schlimmere Abwärtsspirale. Am 24. Juni 1922 wurde Außenminister Walter Rathenau, Architekt der »Erfüllungspolitik« – kultiviert, reich und Nachkomme einer bedeutenden Industriellenfamilie – in seinem Wagen von einer weiteren Horde verrückter Reaktionäre niedergeschossen. Es kam zur Panik. 1922 stiegen die Preise um das Vierzigfache, und der Wechselkurs der Mark zum Dollar fiel entsprechend von 190 auf 7 600.
Anfang 1923, als Deutschland mit den Reparationszahlungen für dieses Jahr in Verzug war – das auslösende Ereignis war die verspätete Lieferung von 100 000 Telefonmasten an Frankreich – marschierten 40 000 französische und belgische Soldaten in Deutschland ein und besetzten das Ruhrtal, das industrielle Kerngebiet des Landes. Reichskanzler Wilhelm Cuno, der in jeder anderen Hinsicht machtlos war, startete eine Kampagne des passiven Widerstands. Das Haushaltsdefizit verdoppelte sich fast auf etwa 1,5 Milliarden Dollar. Dies zu finanzieren erforderte das Drucken immer größerer Mengen immer wertloser werdender Banknoten. 1922 wurden etwa eine Billion Mark an zusätzlicher Währung in Umlauf gebracht. In den ersten sechs Monaten 1923 waren es 17 Billionen Mark.
Eine Beobachter schrieb: »In der ganzen Geschichte ist noch kein Hund so schnell hinter seinem eigenen Schwanz hergelaufen wie die Reichsbank. Das Misstrauen der Deutschen gegen ihre eigenen Banknoten steigt noch schneller als die Menge der in Umlauf befindlichen Scheine. Die Wirkung ist bedeutender als die Ursache. Der Schwanz läuft schneller als der Hund.«
Die Aufgabe, Deutschland adäquat mit Banknoten zu versorgen, wurde zu einer bedeutenden logistischen Operation, an der »133 Druckereien mit 1 783 Maschinen … und mehr als 30 Papierfabriken« beteiligt waren. 1923 hatte sich die Inflation verselbständigt und einen immer größeren Hunger nach Banknoten verursacht. Obwohl man sogar private Druckereien beauftragte, konnte die Reichsbank die Nachfrage nicht befriedigen. In einem Land, das bereits von Papiergeld überflutet war, gab es Klagen über Geldmangel in den Gemeinden. Daher begannen Städte und Privatfirmen ihr eigenes Geld zu drucken.
In den folgenden Monaten erlebte Deutschland die größte Geldentwertung in der Geschichte der Menschheit. Im August 1923 war ein Dollar 620 000 Mark wert; Anfang November 1923 waren es 630 Milliarden Dollar. 17 Dinge des täglichen Bedarfs kosteten nun Milliarden – ein Kilo Butter kostete 250 Milliarden, ein Kilo Schinken 180 Milliarden, eine einfache Fahrt mit der Berliner Straßenbahn, die vor dem Krieg eine Mark gekostet hatte, bezahlte man nun mit 15 Milliarden. Obwohl es Banknoten mit Nennwerten von bis zu 100 Milliarden Mark gab, brauchte man ganze Geldbündel, um etwas zu bezahlen. Das Land floss über vor Banknoten. Man transportierte sie in Säcken, in Schubkarren, Wäschekörben und Picknickkörben, sogar in Kinderwagen.
Es waren nicht nur die außergewöhnlichen Zahlen, es war die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der die Preise jetzt stiegen. In den letzten drei Oktoberwochen stiegen sie um das Zehntausendfache und verdoppelten sich alle paar Tage. In der Zeit, die es dauerte, in einem der vielen Berliner Cafés eine Tasse Kaffee zu trinken, konnte sich der Preis schon verdoppelt haben. Wenn man am Wochenbeginn Geld bekam, hatte es bis zum Wochenende 90 Prozent seines Werts verloren.
Es wurde sinnlos, über den Preis eines Gegenstands zu reden, weil sich die Zahlen so schnell veränderten. Die wirtschaftliche Existenz wurde zum Wettrennen. Arbeiter, die früher einmal wöchentlich bezahlt wurden, erhielten ihren Lohn jetzt täglich in großen Stapeln von Banknoten. Jeden Morgen rollten Lastwagen mit Waschkörben voller Geld
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