Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
ersten Tage im Amt erhielt Schacht einige ermutigende Signale durch viele Vermittler wie Gerard Vissering, den Gouverneur der niederländischen Zentralbank, dass Montagu Norman in der Bank of England eine Möglichkeit finden wollte, Deutschland wieder in die Weltwirtschaft zurückzubringen. Norman war eine entscheidende Figur bei der Wiederherstellung des deutschen Kredits im Ausland. Keine größere Bank, weder in London noch in New York, würde ohne seine Zustimmung daran denken, Deutschland Geld zu leihen. Schachts erste Handlung nach seinem Amtsantritt in der Reichsbank war, seine Familie aus der Schweiz zurückzuholen. Die zweite war, ein Treffen mit Norman in London zu arrangieren.
11. Der Dawes-Plan
Deutschland: 1924
Sei extrem subtil, bis zum Punkt der Formlosigkeit.
Sei extrem geheimnisvoll, bis zum Punkt der Lautlosigkeit.
So kannst du der Herrscher über das Schicksal deiner Gegner werden.
Sun Tse, Die Kunst des Krieges
Schacht kam am 31. Dezember 1923 um 22.00 Uhr mit dem Fährenanschlusszug aus Berlin an der Liverpool Street Station in London an. Die Londoner Cafégesellschaft blühte schon wieder, die Straßen waren voll mit feiernden Menschen. Schacht hatte vereinbart, dass er von Albert Dufour-Feronce abgeholt werden sollte, dem Wirtschaftsberater an der deutschen Botschaft. Als er aus dem Zug stieg, wartete da auch »ein groß gewachsener Mann mit grauem Spitzbart und klugem, scharfem Blick«, der sich, zu Schachts großer Überraschung, als Montagu Norman vorstellte. »Ich hoffe sehr, dass wir Freunde werden«, sagte Norman vertraulich mit seiner weichen Stimme, als er Schacht zu einem Taxi führte. Bevor sie sich trennten, bestand Norman darauf, dass sie sich am folgenden Vormittag in der Threadneedle Street trafen, obwohl es ein Feiertag war und die ganze City menschenleer sein würde.
Schacht war über den freundlichen Empfang verblüfft und wunderte sich noch mehr, als Dufour-Feronce ihm sagte, wie begierig der Bankpräsident gewesen zu sein schien, eine persönliche Bindung mit seinem deutschen Kollegen herzustellen und meinte »Ich will gut mit ihm auskommen.«
Schacht fühlte sich mehr als geschmeichelt, dass Norman an einem kalten und nebligen Dezemberabend, an dem die meisten Leute feierten, gekommen war, um ihn willkommen zu heißen. Schließlich war er der Bittsteller, der gekommen war, um wegen der deutschen Wirtschaftskrise Hilfe zu suchen. Er war auch berührt durch die Freundlichkeit dieser Geste. Nach dem Krieg war es in ganz Europa üblich gewesen, alles Deutsche zu verabscheuen. Schacht hatte sich an die kleinen, ärgerlichen Beleidigungen durch die offiziellen Vertreter der Alliierten gewöhnt, wenn er im Ausland unterwegs war.
Am folgenden Tag holte Norman Schacht am Carlton Hotel in Mayfair ab, und sie gingen durch die leeren Straßen zur Bank. Die Bank bedeckte einen ganzen Block an der Ecke Threadneedle/Princess Street im Herzen der City, umgeben von einer 13 Meter hohen, oben mit Balustraden geschmückten Mauer ohne Fenster und sah aus wie eine mittelalterliche Zitadelle. Diese Festung betrat man durch zwei große Tore aus Bronze, hinter denen, vor den Blicken der Öffentlichkeit verborgen, ein Labyrinth von Innenhöfen mit Säulengängen und Bankhallen mit Kuppeldächern lag. Am Eingang erhob sich eine riesige Rotunde, die dem Pantheon in Rom nachgebildet war, und daneben lag ein schöner Privatgarten mit einem Brunnen und einer Linde, der im Frühling mit Hunderten von Blumenzwiebeln bepflanzt wurde. Es war ein sehr außergewöhnlicher Rahmen für das Hauptquartier einer Zentralbank, ganz anders als das nüchtern-offiziell aussehende Gebäude, in dem Schacht nun arbeitete.
Nach der enormen Expansion der Aktivitäten der Bank im Krieg waren die Hallen und Innenhöfe meist bevölkert wie ein Bazar mit jungen Angestellten, Wechselmaklern und Bankiers mit Zylinderhüten, die aus den Diskontbanken zwischen der Bank of England und den Investmentfirmen in den umgebenden Straßen kamen. Aber an diesem Tag war das Labyrinth ruhig und verlassen wie eine riesige, leere Theaterbühne. Das Büro des Präsidenten lag im Erdgeschoss mit Blick auf einen privaten Innenhof. Norman mit seiner für einen Bankier untypischen Vorliebe für Einsamkeit und ohne Familie, die ihn zu Hause gehalten hätte, war oft an Wochenenden und Feiertagen hier anzutreffen. Der Raum war im neoklassizistischen Stil dekoriert, mit getäfelten Wänden und einem wunderbaren offenen Kamin. Dominiert wurde
Weitere Kostenlose Bücher