Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Frankreich diente; später wurde er Haushaltsdirektor der Harding-Administration. Er war ein Mann aus dem mittleren Westen, der beim Reden kein Blatt vor den Mund nahm. Er hatte ein längliches Gesicht, rauchte eine gebogene Sherlock-Holmes-Pfeife und würzte seine Konversation mit malerischen Flüchen. 23 Kurz vor der Abfahrt fragten ihn Reporter, ob er hoffte, dass die Reparationen jemals bezahlt würden. Er antwortete: »Das geht euch verdammt noch mal nichts an. Ihr Burschen braucht euch nicht den Kopf über Rätselfragen zu zerbrechen, die ihr mir stellt, bevor das Schiff abfährt, weil ich sie nicht beantworten werde. Ich kann euch sagen, dass ich meine Überfahrt selbst bezahle und keinerlei Bezahlung für meinen Dienst im Komitee bekomme.« Als die Reporter ihn weiter bedrängten, schrie er sie an: »Himmel und Hölle! Lasst mich in Ruhe, sonst verliere ich die Beherrschung!«
Sein Kollege im Komitee war Owen D. Young. Er war auf einer Farm aufgewachsen und wurde im Alter von 40 Jahren Präsident und Verwaltungsratsvorsitzender der General Electric Company, damals das zehntgrößte Unternehmen Amerikas. Jetzt war er Präsident der Radio Corporation of America, des Lieblings der Wall Street. Young war groß gewachsen und schlaksig, mit dünner werdendem schwarzem Haar und den »hohlen, tief sitzenden Augen eines Asketen«. Im Gegensatz zum redseligen Dawes war er ein Mann weniger, aber sorgfältig ausgewählter Worte. Aber er und Dawes waren wohlhabende Männer, die sich nicht nur weigerten, irgendeine Kompensation für ihre Aufgabe anzunehmen, sondern sogar darauf bestanden, ihre Ausgaben selbst zu bezahlen.
Obwohl die Amerikaner in Europa sehnlichst erwartet wurden, räumten nur wenige dem Komitee große Erfolgschancen ein. Die Kluft zwischen den Deutschen und den Franzosen schien unüberbrückbar. Die Deutschen argumentierten, der Zusammenbruch der Mark sei Beweis genug für ihren Bankrott, und daher sei es ihnen nicht möglich, Reparationen zu zahlen. Die Franzosen dagegen sahen den Zusammenbruch der Mark als Beweis für eine Kapitalflucht aus Deutschland. Wie konnte Deutschland von sich behaupten, bankrott zu sein, wenn so viele reiche Deutsche sich in Europa herumzutreiben schienen? Alle Zeitungen waren voll mit Geschichten über deutsche Neureiche, die ihren frisch erworbenen Wohlstand an mondänen Orten im Ausland genossen und durch schlechte Manieren und eklatant offen zur Schau getragenen Konsum auffielen. Die Briten saßen in der Mitte fest. Seit der Besetzung des Ruhrgebiets hatte sich die öffentliche Meinung deutlich zugunsten Deutschlands verschoben. Frankreich schien Deutschland unter dem Vorwand der Reparationen zerlegen zu wollen. Die britische Regierung argumentierte, die Reparationen müssten gesenkt werden.
Man konnte sich schwer vorstellen, wie ein Komitee technischer Experten, selbst wenn ein paar prominente Amerikaner dabei waren, die verschiedenen Parteien zu einer Einigung bewegen sollte. Schließlich hatten sich die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Belgiens und Italiens schon mindestens ein Dutzend Mal getroffen – in Spa, in San Remo, in Cannes sowie mehrmals bei Konferenzen in Paris und London –, ohne einen gemeinsamen Nenner zu finden. Zurück blieb eine Spur gescheiterter Verhandlungen, gebrochener Vereinbarungen und bitterer Gefühle.
Zudem war das Thema im Lauf der Zeit hoffnungslos verwickelt und kompliziert geworden. Die Kommission selbst hatte seit ihrer Gründung 1919 etwa vierhundert Mal getagt. Die beiden Amerikaner waren Amateure, die über die technischen Details sehr wenig wussten. Aber jeder von ihnen repräsentierte etwas Neues und durch und durch Amerikanisches: Der Geschäftsmann, aus dem ein politischer Problemlöser geworden war, ähnelte seinem Partner, dem Anwalt aus der Wall Street, der zum Diplomaten geworden war. Beide waren sehr nüchterne, praktische Männer, die, obwohl sie über das vorliegende Problem vielleicht nicht viel wussten, stolz auf ihre Fähigkeit waren, sich nicht von Rhetorik und Vernebelung täuschen zu lassen und zu einer Lösung zu kommen, indem sie einfach den altmodischen, amerikanischen, gesunden Menschenverstand einsetzten.
Auf der Reise über den Atlantik beriet die amerikanische Delegation ihre Strategie. Sie bestand aus General Dawes, seinem Bruder Rufus, Stabschef der Delegation, Owen Young und mehreren Beratern aus verschiedenen Regierungsbehörden in Washington. Manche meinten, das Komitee
Weitere Kostenlose Bücher