Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
vorzustellen. Nur wenige fanden Schacht sympathisch, weil sie ihn für zu pompös und wichtigtuerisch hielten. Aber trotz dieser beiden diametralen Unterschiede – der deutsche Emporkömmling mit seiner direkten und aggressiven Art und sein englischer Führer mit seinen altmodischen Manieren und seiner weitschweifigen Denk- und Sprechweise – war dies der Beginn einer echten und dauerhaften Freundschaft.
Vier Jahre lang hatte Norman machtlos zuschauen müssen, wie sich die Situation in Deutschland immer weiter verschlechterte. Seit Schacht aufgetreten war, sah er allerdings Grund zur Hoffnung. Am 7. Januar, drei Tage nach Schachts Abreise aus London, schrieb Norman an Strong: »Du weißt natürlich, wie prekär die Situation in Deutschland war … Dennoch neigen wir zu der Annahme, dass es nun eine Chance gibt, wahrscheinlich die letzte Chance, einen völligen Zusammenbruch zu verhindern. Der neue Präsident der Reichsbank war einige Tage hier. Er scheint die Situation von A bis Z zu kennen und sie derzeit besser im Griff zu haben, als ich es für möglich gehalten hätte: Er agiert entschlossener als sein Vorgänger von Havenstein.«
Während Schacht und Norman an ihrem Plan arbeiteten, war ein amerikanisches »Expertenteam« mit noch größeren Ambitionen, die Probleme der deutschen Finanzen zu lösen, auf dem Atlantik mit einem Linienschiff nach Europa unterwegs. Während dieser Jahre litt Deutschland keinen Mangel an ausländischen »Experten«, die den Deutschen erklären wollten, wie sie ihre Währung stabilisieren konnten. Der britische Botschafter Viscount d’Abernon, selbst Währungsexperte, bemerkte, dass diese Berater nach ihrer Ankunft in Berlin zu »Unterhaltung nach dem Dinner eingeladen wurden – zum Beispiel mit Schauspielerinnen mit zweifelhafter Vergangenheit«, danach aber meist »ein trauriges Schicksal haben. Im Leben leeren sie jeden Raum, in dem sie auftreten, und sie sterben in Irrenhäusern.« Diese Geldtechniker waren allesamt gescheitert, weil Deutschland keine intellektuelle, sondern finanzielle Hilfe brauchte. Diesmal waren die »Experten« allerdings Amerikaner; sie kamen mit dem Segen der US-Regierung und dem Versprechen, wie jeder hoffte, auf amerikanisches Geld.
Obwohl sich die Vereinigten Staaten, frustriert von Europa und seinen Streitigkeiten, aus der aktiven Einmischung ins Weltgeschehen zurückgezogen hatten, gab es in der Administration eine Gruppe unter Führung von Handelsminister Herbert Hoover und Staatssekretär Charles Evans Hughes, die auf ein gewisses Maß an Engagement drängte, weil sie glaubte, die Erholung Europas sei für den Wohlstand Amerikas von entscheidender Bedeutung. Im Oktober 1923 nutzt Hughes die Tatsache, dass man in ganz Europa genug vom Thema der Reparationen hatte, um die Schaffung eines neuen Expertenkomitees vorzuschlagen. Einige prominente Amerikaner sollten dabei sein, obwohl sie angesichts der isolationistischen Einstellung im Land keinen offiziellen Status erhalten, sondern als besorgte Bürger agieren sollten.
Sogar der französische Premierminister Raymond Poincaré erkannte an, dass er mit dem Einmarsch ins Ruhrgebiet seinen Einsatz überzogen hatte und dass Frankreich für den Moment eine angeschlagene Macht in Europa war. Er stimmte dem Vorschlag unter einer unabänderlichen Bedingung zu: Unter keinen Umständen durfte das Komitee die Summe der Reparationen, die allen Parteien zugestanden worden waren, noch einmal in Frage stellen. Das Wort Reparationen durfte in der Aufgabenbeschreibung des Komitees nicht einmal vorkommen. Es sollte sich nur um »Maßnahmen zum Ausgleich des Haushalts und zur Stabilisierung der Währung« kümmern, obwohl sich niemand so recht vorstellen konnte, wie es diese Aufgaben erfüllen sollte, ohne das unaussprechliche Thema zu erwähnen.
Am 30. November verkündete die Reparationskommission die Ernennung zweier internationaler Expertenkomitees. Das erste sollte darüber beraten, wie man den deutschen Haushalt ins Gleichgewicht bringen und die Währung stabilisieren könnte, das zweite sollte nachforschen, wie viel deutsches Kapital exportiert worden war. Das erste und wichtigere sollte aus zehn Männern bestehen; je zwei aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien und Italien. Ganz Europa wartete nun auf die Ankunft der Amerikaner.
Der Leiter dieser Delegation war Charles Gates Dawes, ein Bankier aus Chicago, der zum Brigadegeneral aufgestiegen war, als er bei den amerikanischen Truppen in
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